von Peter Funken
Irgendetwas stimmt mit dieser Ausstellung nicht - das aber hat nichts mit den dort gezeigten Exponaten, den mehr als 200 alten Skulpturen, den zahlreichen Arbeiten der Gegenwartskunst oder dem Ausstellungskonzept zu tun, sondern mit der eingeschränkt europäischen Perspektive auf die Welt der Tropen und ihre Kulturen - also mit den eigenen, seltsamen Wahrnehmungsengpässen, den Projektionen auf das Exotische, mit den zahlreichen, in westlichen Köpfen verbunkerten Vorurteilen, die diese Ausstellung wie ein komplexes Paradox erscheinen lässt.
Mit ihrem Konzept vertrauten die Kuratoren ganz und gar auf die Aussagekraft der Kunst - darin liegt eine Stärke des groß angelegten Projekts "Die Tropen - Ansichten von der Mitte der Weltkugel". Vielleicht konnte es auch gar nicht anders sein, denn die Künstler sind immer noch die sensibleren Seismografen, die intelligenteren Berichterstatter, die originelleren Dokumentaristen, verglichen mit dem Heer an Journalisten, Ökonomen und Soziologen&Uum044; ihren Informationen, ihrer Berichterstattung über die heißen Zonen ober- und unterhalb des Äquators: hört man heute in den Medien von Nigeria, dem Kongo, Sri Lanka, Indonesien, Thailand, Brasilien oder Bolivien, so geht es vorrangig entweder um Hunger- oder Umweltkatastrophen oder um explodierende Mega-Cities, um den Verlust ziviler Rechte, um Ausbeutung und Verteilungskämpfe. Das dies nicht alles ist, was die tropischen Länder und ihre Kulturen in Afrika, Asien, Ozeanien und Lateinamerika ausmacht, dürfte bekannt sein, tritt aber vor dem in den Medien geschilderten Desastern in den Hintergrund. Die Ausstellung hingegen rückt gerade das kulturell Faszinierende in den Vordergrund und stellt den Exotik- und Desaster-Stereotypen etwas Anderes gegenüber - sie zeigt die Tropen als Refugien großen kulturellen Reichtums, als Wiege der Menschheit und Schatzkammer der Künste. Da beide Positionen immerhin der Wahrheit entsprechen, kann mit dieser Ausstellung ein komplexeres Bild dieser Welt in unserer Wahrnehmung entstehen und so sollte man sich als Europäer vom einseitigen Bild der "traurigen Tropen" (Claude Lévy-Strauss), wie dem eines "Paradieses gleich um die Ecke" endgültig verabschieden. Und auch die Tropen - so Kurator Alfons Hug in seinem Katalogbeitrag - sind "ein Reich der Paradoxe": inmitten fruchtbarer Natur sind die Menschen oft ökonomisch arm, in dieser Lebenszone trotzen traditionelle Arbeitsweisen und Produktionsformen allen Globalisierungstendenzen und man folgt dem von der Natur vorgegebenen Tempo. "Tatsächlich", so Hug, "bilden die Tropen das große Korrektiv zu einem blinden Fortschrittsglauben und Technikwahn."
Die Ausstellung basiert auf Idee und Konzept von Alfons Hug. Er ist Direktor des Goethe-Instituts in Rio de Janeiro und kuratierte zweimal die Sao Paul-Biennale. Weitere Kuratoren der Tropenausstellung sind Viola König und Peter Junge, Direktorin bzw. Kurator des Ethnologischen Museums, Staatliche Museen zu Berlin, die aus den weltweit einmalig geltenden Museumsbeständen des Ethnologischen Museums eine große Anzahl außergewöhnlicher Exponate alter Herkunft zur Ausstellung beisteuerten. Diese Werke werden in der Ausstellung immer wieder mit Arbeiten der Gegenwartskunst in direkten Zusammenhang gebracht, so dass die Exponate allesamt und ohne Differenz als Formen einer Art von Welt-Kunst erscheinen. Bei solcher Fusion trifft man keine klassische Unterscheidung zwischen Gegenständen, die im Sinne einer Religions- oder Stammesgeschichte zu begreifen wären, und jenen, die im Kontext der "Kunst der Moderne" auf uns gekommen sind: Figuren des Totenkults oder des Jagdzaubers stehen unmittelbar neben Videoinstallationen, Fotos von Candida Höfer hängen unmittelbar unter einem Speer an der Wand, Stoffe mit traditionellen Mustern aus Guatemala neben Bildobjekten des jungen brasilianischen Künstlers Marcone Moreira. Damit wird der Blick auf bloß phänomenologisch Ähnliches gelenkt oder es entstehen unvermutet neue und spannungsvolle Beziehungen zwischen den Exponaten. Im Resultat beschwört man eine kulturelle Einheit, wo doch vermutlich die Differenzen überwiegen.
Geht das, darf man das? Ja, es geht, weil es schön ist, aber es verlangt vom Besucher Nacharbeit - etwa in Form der Lektüre des opulenten Katalogs oder einer kritischen Debatte. Auch hier sieht man sich also vor einem Paradox - dem Hin und Her der Gründe, auf das bereits Hannah Arendt hinwies.
Und doch kann man bei dem Gesamtprojekt der Tropenausstellung und seinem vielfältigen Rahmenprogramm ein von Interessen geleitetes Kalkül vermuten, denn die Produktion der Ausstellung geht auf eine groß angelegte Kooperation maßgeblicher deutscher Kulturinstitutionen zurück: neben der Bundeskulturstiftung, die für die Finanzierung stand, haben das Goethe-Institut und die Staatlichen Museen zu Berlin die "Ansichten von der Mitte der Weltkugel" ermöglicht. Das Projekt wird in den einführenden Katalogworten des Goethe-Präsidenten Klaus-Dieter Lehmann und Hermann Parzingers als Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, als wichtiger Schritt auf dem Weg zum geplanten Humboldt-Forum im Zentrum der deutschen Hauptstadt verstanden.
Hortensia Völckers, Direktorin der Kulturstiftung des Bundes, spricht in Hinsicht auf die Ausstellung sogar von einem "Pilot-Projekt" für das Humboldt-Forum. Das gigantische kultur-politische Unterfangen soll im rekonstruierten Stadtschloss (Neubau mit drei barocken Fassaden plus Schlüterhof) sowie auf dem Schlossplatzareal als zukunftsweisendes Gegenüber zur eher europäisch orientierten Museumsinsel entwickelt werden und ähnliche Dimensionen haben. Über dieses, in der BRD einmalige Vorhaben, das die Kulturen der Welt in der Mitte Berlins gleichwertig vorstellen möchte, ist bislang aber noch zu wenig debattiert worden. Allein der Ort, die wieder zu erbauende Architektur des nicht mehr existierenden Stadtschlosses, wirft nach wie vor Fragen auf. Nach Lehmann "wird die Ausstellung zu einem Meilenstein auf dem Weg zum Humboldt-Forum, einer gedanklichen Einheit, von Kulturerbe, Kulturwissen, Kulturbegegnung, Kulturerlebnis."
Doch zurück: "Die Tropen" gliedert sich in sieben thematische Gruppen oder Kapitel:
1. Nach der Sintflut - Natur und Landschaft, 2. Das kurze Leben - Menschenbilder, Porträts, Ahnen, 3. Der zerbrochene Pfeil - Macht und Konflikte, 4. Die Farben der Vögel - Farben und Abstraktion der Tropen, 5. Das verbotene Lächeln - Klänge und Musik der Tropen, 6. Tropischer Barock und
7. Das städtische Drama: Insbesondere dieses letzte Kapitel kommt in der Ausstellung zu kurz. Man wünschte sich neben den wahrlich schönen Fotografien von Hans Christian Schink, der 2004 die peruanische Inka-Ruinenstadt Machu Picchu ablichtete, oder dem märchenhaften, 16 Meter breiten Panoramabild "Lost in the City" (2007) des Thailänders Navin Rawanchaikul bedeutend mehr konkrete Arbeiten zum Thema Großstadtleben und Mega-City.
Hervorragend in diesem Zusammenhang sind das Video "Avenida Libertador" (2006) von Alexander Apostol aus Caracas, der in seinem schwarz-weiß Film Prostituierten Gesicht und Stimme gibt, wie auch Marcel Odenbachs Beitrag "Disturbed Places" (2007) - einem Ausschnitt aus seinem Projekt "Five variations of India" - in dem Odenbach das aufreibende Leben eines Rikscha-Fahrers zeigt.
Bisher wurde die Ausstellung in einer kleineren Variante in den Tropen-Städten Rio und Brasilia gezeigt und zog 500 000 Besucher an. 2009 wandert sie nach Kapstadt, eine weitere Station ist in Asien geplant.
Zur Ausstellung erschien ein umfangreicher Katalog mit zahlreichen Texten und vielen Farbabbildungen, Herausgeber: A. Hug, P. Junge, V. König,
ISBN deutsche Ausgabe: 978-3-86678-165-8, ISBN englische Ausgabe:
978-3-86678-166-5, bibliografische Daten in der Deutschen Nationalbibliografie unter: http://dnb.ddb.de