von Peter Funken
Wenn Joe Coleman mit dem Titel seiner Ausstellung auf seine eigene, innere Grabungstätigkeit anspielt und die künstlerischen Potentiale meint, die er dabei entdeckte, dann darf man ihm gratulieren, ihn sogar bewundern - wenn er jedoch damit die tief in der amerikanischen Nation verwurzelten Mythen meint, auf die er bei seinem "digging" stieß, etwa die von der glorreich-gewaltsamen Eroberung des unermesslichen Landes, die Mythen von Freiheit und Demokratie oder die dunkle Seite, das Psychopathische, Apokalyptische und religiös Wahnsinnige, dann kann es einen schaudern. In der Janusköpfigkeit dieser "country of the brave" ist anscheinend fast alles verborgen. Vom Glück des Tüchtigen bis hin zur widerlichsten Gemeinheit und Brutalität reichen die menschlichen Facetten, die uns aus Hollywood-Filmen und B-Movies bekannt sind und die uns aus einer bigotten und manchmal monströsen Alltagswirklichkeit der USA (auch wieder vor allem medial) entgegenschlägt. Dieses Land bleibt für Europäer wohl immer eines der Überraschungen und Rätsel, und so ist es auch mit der Ausstellung in den Kunstwerken, die das Werk Joe Colemans - geboren 1955 in Norwalk/Conneticut - anhand von zahlreichen Installationen und minutiös gezeichneten Bildern präsentiert.
Coleman ist ein Multitalent, er malt nicht nur, sondern agierte als provokanter Performer, Schauspieler, Punk-Musiker und ist zudem der Freund von Filmstars wie Denis Hopper, Jim Jarmusch oder John Waters. Seine Bilder malt er in einer außergewöhnlichen Acryltechnik mit einem Zweihaarpinsel und einer Restauratorenlupe. Colemans Installationen und Objekte, die er in den Kunstwerken zum Teil in alten Zirkuswagen präsentiert, zeigen Szenarien und Arrangements aus seinem "Odditorium" (odd = seltsam) und dies, so sagt Kuratorin Susanne Pfeffer, "ist ein wesentlicher Teil seiner Lebens- und Arbeitswelt in Brooklyn. Die Kunstwerke ermöglichen einen Einblick in seinen Kosmos, der sehr dicht ist und sich auf den verschiedensten medialen Ebenen abspielt."
Colemans "Internal Digging" ist Pfeffers erste Ausstellung als neue Kuratorin der Kunstwerke und sie ist ihr gelungen, denn die Show vermittelt nicht nur tiefe Einblicke in die Reflektion und Wahrnehmung von Wirklichkeit des immens fleißigen Künstlers, sondern zeigt diese Wirklichkeit als ein subkulturelles Pandämonium, dessen Urgründe bereits mit den Anfängen der Besiedlung des Landes zusammenfallen und bis heute akut sind. In einem der zahlreichen Environments im abgedunkelten Ausstellungsraum des Untergeschoßes der KW arrangiert Coleman die Wachsfiguren des legendären Trappers Davy Crockett zusammen mit einem sterbenden Soldaten und dem legendären Pionier Jim Bowie, die in einen tödlichen Streit verwickelt sind. Die Szene handelt zugleich von Gewalttätigkeit wie auch - und dies wirkt kurios - von der Banalität der Simulation.
Anders als bei der realistischen Kunst eines Duane Hanson oder John de Andrea, verwendet Coleman für seine Szenen ausgediente Figuren amerikanischer Wachsfiguren-Kabinette, die in ihrer Mimik und den Bewegungen etwas steif und hölzern wirken, so dass sich in die Vorstellung von Historie etwas unglaublich Grobes und fast schon Lächerliches einschleicht. In diesem Teil der Ausstellung begegnen den Besuchern die unterschiedlichsten Kreaturen, so etwa Massen- und Serienmörder wie der berüchtigte Ed Gein, Satan und der Sensenmann, monströse Tiere, ein Gehängter, die heilige Agnes, sogar der Gekreuzigte, wie auch eine Vergewaltigungsszene und eine Wasserfolter. In einer der Installationen spricht die Figur eines Lebend-Toten, der Joe Coleman ähnelt, in Form einer Filmprojektion zu uns, wobei sein halber Körper in einem Sarg steckt.
Betritt man das Innere der drei Zirkuswagen, so trifft man wiederum auf Groteskes und Schauerliches, diesmal zumeist in Vitrinen arrangiert und präsentiert vor roten oder violetten Stofftapeten, die in Gold mit christlichen Zeichen bedruckt sind. Hier ist etwa ein Brief ausgestellt, in dem Charles Manson, der Mörder Sharon Tates, Coleman Lob für seine Kunst ausspricht, wie auch die Wachshände des Serienkillers Billy Cook, auf dessen Fingerknöcheln die Worte "Hard Luck" tätowiert sind. Auch findet sich ein Haftbefehl gegen Joe Colemann (alias "Dr. Mamboozoo") wegen eines Auftritts im Jahr 1989, in dem der Künstler beschuldigt wurde, eine Höllenmaschine zu besitzen oder das T-Shirt des Mörders Sonnier, das dieser bei seiner Hinrichtung trug. In den anderen Wagen und Vitrinen warten weitere Merkwürdigkeiten, reißerische Devotionalien und Monstrositäten auf die Besucher, so dass man gruselig fasziniert die weiteren Etagen der Kunstwerke erklimmt, in denen es zivilisierter zuzugehen scheint, denn hier hängen Malereien und Federzeichnungen des Detail versessenen Künstlers. Der Irrealis im letzten Satzteil war zu Recht gewählt, weil auch Colemans minutiöse Illustrationskunst, die zuweilen an Ikonen oder Mandala-Bilder denken lässt, durchweg von Gewalt, Verbrechen und der dunklen Seite unserer Humanität handelt. Selbst wenn das nicht in allen Arbeiten thematisiert wird, so lauert das Böse doch überall und bildet in Colemans Weltbild die eigentliche Grundlage der menschlichen Existenz.
In dieser Abteilung der Ausstellung begegnen uns Persönlichkeiten wie Edgar A. Poe, die Country-Legende Hank Williams, die Maler George Grosz und Adolf Wölflin ("Holy St. Adolf") oder die "American Venus" Jane Mansfield - und natürlich auch wieder Ed Gein und andere Killer, Psychopaten und Freaks. Eine der Arbeiten ist dem tückischen Mädchen Mary Flora Bell ("Ich quäle gerne kleine Dinge, die sich nicht wehren können") und weiteren schrecklichen Kindern gewidmet, die ihre Geschwister mit der Schere aufschlitzten, die Eltern vergifteten oder Mitschüler Amok laufend erschossen. Über all diese Niederträchtigkeit müsste man eigentlich einer religiösen Sekte beitreten, aber gerade dort würde man dem Teufel mit Sicherheit in die Falle gehen. Man kann Colemans Kunst durchaus genießen, denn sie ist in einer selten gesehenen Weise perfektionistisch. Gerade im Dissens zwischen künstlerischer Könnerschaft und der Abgründigkeit seiner Themen - so ließe sich vermuten - könnte eine Form der Läuterung stattfinden - also etwas zutiefst christliches. Doch wäre es falsch, würde man behaupten, der Künstler wolle das Böse und Schlechte durch die Malerei, durch die Kunst anprangern, bannen und vielleicht sogar tilgen.
Und dennoch, im Spannungsfeld von künstlerischer Perfektion und der Darstellung menschlicher Niedertracht entsteht nicht nur kribbelnder Schauder, sondern auch so etwas wie eine Moral oder zumindest ihr Vorschein. Insbesondere wenn Coleman, der in den 80er Jahren für das New Yorker Underground-Magazin "Srew" arbeitete, den Terroristen Bin Laden konterfeit und dazu vermerkt, dass dieser in Zeiten des "Kalten Krieg" gewiss als Held in einem Hollywood-Film für die USA und gegen die Russen gekämpft hätte. In dem Bild "I am Joe's fear of disease" zeigt Coleman die brennenden Twin-Towers und zieht Parallelen zwischen individueller und gesellschaftlicher Krankheit. Aber die Moral des Joe Coleman ist eine satirische und keine christliche Moral. Coleman, dessen Kunst sich zum Glück nie mit den besonders in Deutschland ignoranten und hinderlichen Barrieren zwischen E- und U-Kunst befassen musste, fußt ganz selbstverständlich auf der Zeichenmanier von Underground und Comic, auf Pop-Art, der dunklen Fantasie der Gothic-Novel und der kulturellen Legitimität von Trash und Schund und verströmt von daher eine sehr besondere Kraft und Lebendigkeit. Gewiss ist Joe Coleman in vieler Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung, auf jeden Fall ist er aber ein Künstler, der das menschlich Irrationale, das Bestialische und banal Bösartige, das unsere Spezies genauso in sich trägt wie so manches Gute, bildnerisch und mit Worten zu beschreiben weiß und dabei präzise analysiert.
Zur Ausstellung erschien ein umfangreicher Katalog mit zahlreichen Abbildungen und Texten, 30,- Euro, ISBN 978-3-86560-280-0