von Peter Funken
Albrecht Flieger ist Maler und Plastiker aber ebenso Spezialist für die Gestaltung von Natur ähnlichen Quellen, Brunnen und Wasserläufen. In den späten 1980er Jahren begann Flieger, der 1959 in Frankfurt/Main geboren wurde und heute in Nürnberg lebt, mit Installationen im Außenraum: damals installierte er im Sinne von Landschafts- und Konzeptkunst artifizielle Mess- und Ortungsobjekte in Parks und irritierte mit diesen Störeffekten die Wahrnehmung solch künstlicher Natur. Seit 1992 experimentierte Albrecht Flieger mit dem bewegten Bild, er begann zu filmen und drehte einen aufwendigen Vorfilm für den selbst erdachten, allerdings nie realisierten Science-Fiction-Streifen "Doom" in 16mm Technik. Für die Filmstaffage baute er seltsam fantastische Objekte, so zum Beispiel die Modell-Skulptur "Swimmingpool-Ruine / Amerikanisches Café" wie auch weitere plastische Arbeiten, die er später in einer Ausstellung in Berlin als "Bauten für einen neuen Landschaftsgarten" bezeichnete. Mit seinem Filmfragment entstand eine Persiflage auf das Genre Science-Fiction wie ebenfalls ein komplexes Experiment im Kontext von Kunst, Landschafts- und Ruinenarchitektur.
Das Fantastische in Parkanlagen und ruinöser Architektur ließen ihn von da an nicht mehr los, er beschäftigte sich seit dem Jahr 2000 zunehmend mit dem Thema Rekonstruktion von verloren gegangenen und zerstörten Landschaftsbildern in historischen Parks, vor allem mit Wasser- und Brunnenanlagen, die er zu entwerfen und zu rekonstruieren begann. Insbesondere die Vorstellungen des ideal Schönen, wie auch die realistische Naturähnlichkeit sind seitdem seine ästhetischen Anliegen, also mithin zentrale Forderungen an die Gartengestaltung des 19. Jahrhunderts, bei der "Kunst und Natur auf das Glücklichste zu vereinen" seien. Bald bekam Albrecht Flieger den Auftrag zur Wiederherstellungen der Felsanlagen des Marlygartens im königlichen Park Sanssouci in Potsdam sowie von zwei Wasserläufen am dortigen Ruinenberg - konkret gemeint waren die Quelle am südlichen Hang sowie die große Kaskade unterhalb der Säulen und des Wasserbassins im oberen Bereich der Anlage. Die Gartendirektion der Stiftung beauftragte Flieger als einen, wie man formulierte, "Spezialisten für die Gestaltung künstlicher Felspartien".
Bei dem Vorhaben der Rekonstruktion der seit 1748 entwickelten Brunnenanlagen in Potsdam, genüge "es bei weitem nicht, Steine einfach nur zu platzieren, so dass das Wasser über sie hinwegfließen oder -plätschern kann, ebenso wenig lassen einige Steine in einem Flussbett einen Gebirgsbach oder -see entstehen", äußerte in diesem Kontext der damalige Gartendirektor Prof. Michael Seiler. Um eine künstliche, gleichwohl künstlerische Inszenierung zu erschaffen, mußten Form, Größe und Farbe der einzelnen Steine, wie auch ihre Zusammenstellung präzise geprüft werden, damit ein wirkungsechtes Erscheinungsbild entstehen konnte. Diese Aufgabe löste Albrecht Flieger mit Bravour: Zahlreiche Recherchen, Konstruktionsüberlegungen, der exakte Nachbau der Wasseranlagen aus Styropor in der Trockenhalle sowie präzise Bauarbeiten vor Ort führten zu einer ästhetisch anspruchsvollen und technisch funktionierenden Rekonstruktion, so dass man heute Quelle und Kaskade am Ruinenberg wieder so erleben kann, wie vor gut 150 Jahren. Das Besondere einer solchen Arbeit liegt im gestalterischen Aufwand und der Fähigkeit zur Einfühlung: für das Wasserbecken der Quelle am Südhang des Ruinenbergs verwendete Flieger zum Beispiel blauschwarzes Gestein, um den Eindruck von Tiefe zu erzeugen. Aus gleichem Grund ordnete er die Steine sternförmig um das Zentrum des Beckens an. Tiefenstaffelungen und Repoussoir-Effekte wurden bewusst erzeugt, genauso wie die Geräusche, die vom fallenden Wasser ausgehen, denn Klang, Geruch und taktiles Empfinden erst bilden zusammen mit den visuellen Natureindrücken das Gesamtkunstwerk der Parkanlage. Hatte Flieger die Quelle am Südhang des Ruinenbergs vollständig neu erdacht - von dieser Stelle gab es keinerlei Zeichnungen oder Ruinenreste - so handelte es sich bei dem Wiederaufbau der höher gelegenen Kaskade um eine komplizierte Rekonstruktion, die weitgehend auf einer einzigen Fotografie aus dem Jahr 1891 beruht.
Bis heute arbeitet Albrecht Flieger an seinem Projekt eines "Neuen Landschaftsgartens", in dem Ideen und Vorstellungen historischer Parkanlagen zusammen mit moderner Architektur und Ruinenelementen der Gegenwart in Einheit ein Gesamtkunstwerk bilden. Für dieses, letztlich von seiner Finanzierbarkeit abhängige Projekt, baut der Künstler Modelle und Skulpturen, zudem entwickelt er in seiner Zeichenkunst und Malerei Vorstellungsbilder, die zum Teil von romantischen Vorlagen - etwa denen eines Moritz von Schwind - geprägt sind. Aber auch die Staffagen amerikanischer und japanischer Science-Fiction-Filme, insbesondere von so genannten B-Movies, regen ihn zu seinen Entwürfen an. Bei Albrecht Fliegers geplantem, "Neuem Landschaftsgarten" geht es um ein Gesamtkunstwerk für die Zukunft, das historische Vorbilder mit ästhetischen Vorstellungen der Moderne und Zitaten aus fantastischen Filmen miteinander verbindet und in Einklang bringt. Vergleichbar einem Filmregisseur, operierten auch die Architekten und Gartenplaner bei der Gestaltung romantischer Landschaftsparks mit den Mitteln von Blickführung, der Veränderung von Ansichten oder Perspektiven, so dass die Besucher - fast so wie später in einem Film - durch eine möglichst abwechslungsreiche, überraschende, spannende und Erkenntnisse vermittelnde Handlung geleitet wurden. Im Park geschieht solches Wahrnehmen aufgrund des Gehens, Wandelns bei gleichzeitigem Betrachten und Begreifen eines der Natur abgeschauten und in der Natur entstandenen Raumes; beim Film hingegen durch die Wahrnehmung einer Handlung, die sich vor den Augen vollzieht, wobei der Raum cineastisch immer wieder neu und anders konstruiert wird. Zwischen einer Gartenlandschaft und einer Filmhandlung können trotz vieler Unterschiede durchaus markante Ähnlichkeiten und Beziehungen benannt werden. Genau an dieser Stelle einer Verbindung von altem Wissen und modernen Erkenntnissen entwickelt Albrecht Flieger sein Zukunftsprojekt des "Neuen Landschaftsgartens". Gewiss wirkt die Idee zu einem solchen Gesamtkunstwerk heute romantisch, doch erscheint sie angesichts der Kurzlebigkeit und der rasanten Veränderungen in fast allen Bereichen hochaktuell und faszinierend, denn sie setzt auf Komplexität und Dauer. Die Situation der Machbarkeit eines solchen Projekts hat sich in den letzten 200 Jahren grundlegend verändert und ist doch die gleiche geblieben, denn ein Gesamtkunstwerk wie Fliegers "Neuer Landschaftsgarten", könnte heute vor allem von immens wohlhabenden Privatpersonen beauftragt und finanziert werden, kaum aber noch von der öffentlichen Hand.