Made in Germany
- Gedanken zu den Fotografien Philine von Sells.

von Peter Funken



Philine von Sells Fotoprojekt "Made in Germany" zeigt Momente, Situationen und Impressionen aus der Welt der Arbeit in der deutschen Industrie. Für ihr Projekt fragte die Künstlerin bei zehn renommierten Unternehmen an und besuchte Produktionsstätten im ganzen Land. Ihre Fotografien beschreiben Fertigung, Herstellungsverfahren und Produktion aus der Perspektive unvoreingenommen Interesses und damit unter einem Betrachtungsaspekt, der das Typische und Besondere im scheinbar Normalen und Routinierten erkennt.
So entstanden im Zeitraum der Jahre 2006 bis 2008 Werke, die die maschinelle und manuelle Arbeit, das Material und seine Verwandlung vom Rohstoff bis zum Produkt in der Wirklichkeit der Unternehmen zeigt - all dies als Resultat einer künstlerisch-fotografischen Wahrnehmung und Tätigkeit, die sich ihrem Untersuchungsgegenstand aufgeschlossen und behutsam annähert.

Die Fotografien in diesem Band wurden in analoger Fototechnik, mit einer Pentax-Kamera und im Mittelformat 4,5 x 6 cm hergestellt. Das Projekt soll in Zukunft weitergeführt und komplettiert werden.

Made in Germany besichtigt die moderne Realität der Produktion vor allem unter dokumentarischen und aufklärerischen Gesichtspunkten. Beim Betrachten der entstandenen Fotoserien gewinnt man den Eindruck, dass sich für die Fotografin in der Arbeitwelt immer wieder neue, völlig überraschende Gesichtspunkte ergeben haben, dass sich ihr eine Welt aufgetan hat, die sie aufgrund ihrer Komplexität, Präzision und Effizienz staunend erlebte.

Philine von Sell hat ihre Einblicke in die Unternehmen aus einer subjektiven Perspektive fotografisch festgehalten. In ihren Arbeiten entsteht die Darstellung völlig unterschiedlicher Produktionswirklichkeiten, so wie sie die Fotografin erlebte - mit dem ihr eigenen, frischen, unverbrauchten Blick und in Form eines Sehens, das dem Arbeits- und Herstellungsprozess großen Respekt zollt.

Die Aufnahmen zeigen das jeweils Spezifische und Spezielle der Industrieunternehmen, denn bei der Fertigung so verschiedener Produkte, wie etwa Farbstifte, Keramik, Schrauben oder Lebensmitteln, wirkt das Material und auch seine Bearbeitung sehr deutlich auf die direkte Umgebung ein, und so sind die Fertigungsstätten bei Faber-Castel, Villeroy & Boch, Falke, Würth, bei der Banknotendruckerei Giesecke & Devrient und weiteren führenden deutschen Unternehmen, geprägt durch die zu verarbeitenden Grundsubstanzen, wie auch durch technische und handwerkliche Erfordernisse bei der Herstellung, der Sortierung und Lagerung von Qualitätsprodukten. Jedes Unternehmen besitzt dergestalt etwas Außergewöhnliches und Unverwechselbares. Dies zeigt sich charakteristisch im Fertigungsprozess, an den Werkbänken und Arbeitsplätzen, dokumentiert sich in Ordnungs- und Unordnungssystemen und selbst redend in der Architektur der Produktionsstätten.

So unterschiedlich wie die Produkte und ihre Herstellung, so divers sind auch die Fotografien, die Philine von Sell für das Projekt Made in Germany herstellte, denn bei jedem der Unternehmen ließ sie sich aufs neue auf eine neue Situation ein und entwickelte somit für jede Produktionssituation eine adäquate Form der Besichtigung und Bestandsaufnahme.

Es mag sein, dass man die vorangehende Bemerkung als eine Plattitüde abtut, doch ist sie in Hinsicht auf die Wahrnehmung von Herstellungsvorgängen und für das Fotografieren in der Industrie von immenser Bedeutung, denn nur vor dem faktischen Hintergrund des Produktionsgeschehens und seiner Wirkung auf die unmittelbare Umgebung, lässt sich der künstlerische Einsatz und Anteil tatsächlich begreifen, beurteilen und würdigen.

Da sind die in horizontalen Schichten gelagerten, grünen Farbstiftminen, die Philine von Sell bei Faber-Castel in Nürnberg fotografierte: im Bild erscheinen sie wie in einer geologischen Ordnung, mit zahlreichen Verwerfungen und Kulminationen, so dass bei diesem Foto unmittelbar Vorstellungen einer außergewöhnlichen Landschaftsaufnahme entstehen. Philine von Sell ist für diese Fotografie sehr nah an die Gegenstände herangetreten, und so wird hier weniger das einzelne Ding gezeigt, als vielmehr seine visuelle Eigenschaft in der großen Masse der seriellen Produktion. Zugleich aber springen auch die feinen Unterschiede zwischen den Minen ins Auge. Der Rohstoff, das Pigment für die Herstellung von Farbminen, stammt aus dem Erdreich und selbst in ihrer Form als Halbprodukt liefern die Minen eine Art von Erinnerungsbild an die Herkunft ihrer Farbmaterie. Ganz anders das mit "Zahlen" betitelte Foto, das in einer Produktionshalle bei Villroy & Boch entstand: hier werden keramische Produkte gezeigt, die in Paletten zur Weiterverarbeitung aufgestellt wurden. Das Foto zeigt die Zwischenlagerung vor allem als Ordnungsvorgang. Frontal erfasst und in einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Horizontalen und Vertikalen, betont die Komposition das Serielle der Fertigung. Anders als bei der Farbstiftherstellung, stehen die Gegenstände hier wie in Reih und Glied, sie sind durch exakte Abstände von einander getrennt. Zudem sind die Chargen wegen des Produktionsablaufes mit Ordnungszahlen versehen, deren Systematik sich nur den Eingeweihten erschließt.

Ein kurzer Rückblick: Die Welt der Industrie und der Produktion abzulichten und vorzustellen, war seit Mitte der 20er Jahren des 20. Jahrhunderts immer wieder das Anliegen moderner Fotografen. Mit der Industriefotografie, der Industriereportage und der so genannten Sach- und Materialfotografie fanden im Medium absolut neue und bislang nicht registrierte Einblicke in die moderne Welt statt, in ihre technische Realität und ihre produktive Gegenständlichkeit. Dies war letztlich nur durch eine innovative Kameratechnik zu realisieren. Äußerst berühmt wurde Albert Renger-Patsch (1897 - 1966) mit seinen Fotografien und Fotobüchern, etwa dem Bildband "Die Welt ist schön" (1928), in dem er Strukturähnlichkeiten zwischen Natur und moderner Technik, Parallelen zwischen biologisch gewachsener und technisch konstruierter Wirklichkeit vorstellte. Renger-Patsch betrachtete das Fotografieren keineswegs als Kunst, vielmehr sprach er in seinen theoretischen Schriften vom "photographischen Handwerk" und forderte die Einheit der Technik und der Mittel. Seine "sachlichen Photographien", die als Resultat seiner Auffassungen über die Aufgaben des Mediums entstanden, wirkten innerhalb der sich entwickelnden, so genannten "künstlerischen Photographie", als revolutionierend. (1)

Im Kontext der Fotografie der Neuen Sachlichkeit und vor allem jener Albert Renger-Patschs, hat Walter Benjamin festgestellt, sie habe sich aus den Zusammenhängen heraus begeben und sich vom physionomischen, politischen und wissenschaftlichen Interesse emanzipiert. Dadurch sei sie "schöpferisch" geworden. "Der Geist, überwindend die Mechanik, deutet ihre exakten Ergebnisse zu Gleichnissen des Lebens um", schreibt Benjamin und er kritisiert, dass, "je mehr die Krise der heutigen Gesellschaftsordnung um sich greift, je starrer ihre einzelnen Momente einander in toter Gegensätzlichkeit gegenübertreten, desto mehr ist das Schöpferische - dem tiefsten Wesen nach Variante. ... Das Schöpferische am Photographieren ist dessen Überantwortung an die Mode. "Die Welt ist schön" - genau das ist die Devise. In ihr entlarvt sich die Haltung einer Photographie, die jede Konservenbüchse ins All montieren, aber nicht einen der menschlichen Zusammenhänge fassen kann, in denen sie auftritt, und die damit noch in ihren traumverlorensten Sujets mehr ein Vorläufer von deren Verkäuflichkeit als von deren Erkenntnis ist." (2)

Aus diesen Sätzen Benjamins spricht ein großes Misstrauen gegenüber einer "Photographie als Kunst", da sie sich allzu leicht von der Werbung vereinnahmen lasse. Einen Ausweg erkennt der Philosoph im surrealen Fotobild, "denn die Lage" - und damit bezieht er sich (!!!!) auf Bertold Brecht - wird, "dadurch komplizierter, dass weniger denn je eine einfache Wiedergabe der Realität etwas über die Realität aussagt." (3)

In diesem Kontext hat der Kunstwissenschaftler und Fototheoretiker Wilfried Wiegand zurecht festgestellt:: ".... schon der von den Zeitgenossen gegen die neusachlichen Künstler erhobene Vorwurf, sie übertrügen lediglich das traditionelle Naturgefühl auf die Technik und feierten nun die stählernen statt der hölzernen Bäume - dieser Vorwurf übersieht gerade die Hauptsache: dass nämlich die Parallelität von Natur und Technik vor allem in umgekehrter Richtung erlebt wurde. Das Wort von Vico, der Mensch könne nur verstehen, was er selbst gemacht habe, gewann durch die moderne Technik wieder Aktualität. Auch in der Natur wurde nun die sachliche Schönheit der Zweckform entdeckt und das Funktionale als entscheidende Formkraft erkannt. Da aber auch der Mensch ein Naturwesen ist, musste diese Erkenntnis in letzter Konsequenz lauten, dass auch er nach den gleichen Gesetzen produziert wie die Natur." (4)

Im Grenzbereich zwischen realem und surrealem Bild scheint ein Teil der Fotografien Philine von Sells angesiedelt, vor allem solche Werke, die wie die Landschaft der grünen Minen Vorstellungen jenseits des eigentlichen Produkts zu evozieren wissen. Zu dieser Gruppe von Motiven gehört ein aus der Aufsicht geschossenes Foto, das den Blick auf eine rote Tischfläche eröffnet, auf dem eine Messingschaufel liegt, in der noch Spuren grünen Pigments zu erkennen sind. Mit einem solchen Werkzeug werden bei Faber-Castel Farbstoffe aus den Behältnissen genommen. Der Gegenstand erscheint vor dem tiefroten Untergrund der Tischplatte als eine absolut reduzierte Form - etwa wie ein Idol aus einer anderen Kultur oder aber wie eine Skulptur, die aus den Händen Constantin Brancusis oder Alberto Giacomettis stammen könnte.

Dass die Künstlerin solche Beobachtungen in der Produktion machte, lässt tief blicken und spricht von ihrer Wirklichkeitswahrnehmung, denn sie entdeckt immer wieder Außergewöhnliches und Charaktervolles im Alltäglichen der Produktion. Mit diesem fotografischen Ansatz lässt sich dann letztlich begründen, warum Philine von Sell nur in Ausnahmefällen Menschen bei der Arbeit zeigt, denn ihr geht es vor allem um die großen Zusammenhänge, wie auch um die Atmosphäre in der Herstellungswelt. Bei solchen Bildern aus der Produktion treten Menschen, Arbeiter, Angestellte oder Manager, nur in Ausnahmefällen in Erscheinung, doch trifft man in den Fotos immer wieder auf Spuren ihrer Existenz und ihrer Tätigkeit.

Es wird gezeigt welche Formen und Gegenstände Arbeiter erzeugen und welche Orte sie mit ihrem Handwerk bestimmen, auch dass sie bei ihrer Tätigkeit wirkungsvoll agieren müssen - jedoch nur ausnahmsweise, wie von Menschenhand gearbeitet wird. Philine von Sell geht es dem entsprechend nicht um Porträts, um Gesichter, Gesten oder Haltungen bei der Arbeit, sondern um die Darstellung von Arbeitszusammenhängen und um die technisch-organisatorischen Bedingungen in den Fabriken. Der Mensch - und damit entspricht ihre Fotographie der heutigen Arbeitswirklichkeit - ist zwar nach wie vor unersetzlich, denn sein Geschick, seine Intelligenz und seine feinmotorische Fähigkeit lässt sich längst noch nicht überall durch Automaten ersetzen, doch wird der in der Produktion arbeitende Mensch heute im Verhältnis zu früheren Epochen in immer geringerer Zahl benötigt. Ohne dass man vermuten sollte, Philine von Sell hätte diesen Gedanken zum Zentrum ihres Konzepts gemacht, wird ihm im Fotoprojekt Made in Germany Rechnung getragen: Der Mensch, nach wie vor für die heutige Produktion eminent wichtig, ist eigentlich zu einer ephemeren Größe geworden - so auch in dem Fotoprojekt. Gleichwohl erscheinen Werktätige in einigen wenigen Fotografien; dann stehen die Arbeiter im Zentrum des Geschehens, weil die Fotografin ihre Tätigkeit im Zusammenspiel mit den Maschinen und den Objekten vorstellt. Vor allem aber zeigt sie Arbeitsplätze und Produktionsbereiche ohne Personal - doch so, dass man den notwendigen menschlichen Einsatz unmittelbar erkennen kann: Zwar sind die Töpferscheiben bei Villeroy & Boch unbesetzt, man erkennt aber deutlich, dass an diesen Arbeitsplätzen handwerklich-kreativ agiert wird, weil die Handwerksgeräte, bearbeitete Produkte und das Material darauf verweisen.

Es ist zudem die klare und ausgewogene Tektonik der Fotobilder Philine von Sells, die eine deutliche Sprache spricht und die Qualität ihrer Bilder bestimmt. In den Kompositionen dieser klassischen Fotografie, die von Arbeitsleistung, Funktionalität, Effektivität und Schönheit handelt, werden immer wieder Ordnungskonzepte und Arbeitssysteme sichtbar, die unabdingbar sind, wenn tagtäglich von neuem ein hoher Produktionsstandard erreicht werden soll, der das Gütesiegel Made in Germany verdient. (5)
"Es ist eine Sache eine Hochleistung zu erbringen, aber dies immer wieder zu schaffen, also permanent Güte und Qualität zu garantieren, das ist etwas Außergewöhnliches - das verbinde ich mit dem Begriff "Made in Germany", sagt Philine von Sell und sie fährt fort: "Alles hat eine Seele - und nicht nur die Menschen, auch die Dinge haben eine Ehre".

Letztere Formulierung, die Anklänge an Martin Heideggers Ding-Philosophie besitzt, mag tatsächlich für die künstlerische Bestrebung ein Fotoprojekt zu realisieren, Grundlagen bildend sein, doch wirkt in der globalisierten Industrie der Gegenwart vor allem der moderne Design-Gedanke und somit die Idee von der Weiterentwicklung und vor allem der Weiterverbesserung von Produkten und Produktionen. Anders als beim ontologischen Ding, das Heidegger als ein "Ge-Schenk" bezeichnete, geht es beim Design um Waren und ihre Preise. Dies setzt Funktionalität und Funktionieren voraus und darin liegt eine große Stärke der deutschen Industrieprodukte. Der künstlerische Blick überformt diese Tatsache mit einer subjektiven Betrachtung - und dies scheint vonnöten, um überhaupt einen Blick für das zeitgenössisch Industrielle zu entwickeln, denn eigentlich kennen wir als Konsumenten vor allem die Waren, kaum aber die Situation ihrer Produktion.

Der Philosoph Peter Sloterdijk spricht in diesem Zusammenhang "von der Geburt des Designs aus dem Geist des Rituals" (6), denn die Designoberfläche mit ihren Tasten und Schaltern verhilft uns dazu, zahlreiche hochkomplexe Geräte zu bedienen - vom Telefon bis zum Computer, von der Waschmaschine bis zum Flugzeug - ohne dass wir deren inneres System und ihr technisches Funktionieren verstehen müssen. Diese so genannte "User-Freundlichkeit" ist in Sloterdijks Gedanken eine Form rituellen Hantierens und stellt geradezu die Voraussetzung dafür da, dass wir in einer technisch-komplizierten Gegenwart einigermaßen leicht und einfach handeln können. Im Verhältnis zu früheren Epochen sind wir durch das Design und die Oberflächengestaltung zu geradezu allmächtigen Wesen geworden, die über immense Distanzen miteinander sprechen können, im Dunkeln sehen, in der Höhe fliegen und in der Tiefe des Meeres tauchen können. Peter Sloterdijk sagt aber auch: "Der moderne Könner kann immer weniger immer besser" (7). Dies gilt basal für die Arbeit in der Industrie und für ihre Produktion, nur dass hier verschiedene "moderne Könner" Ziel- und Leistungsorientiert zusammenwirken und dabei sehr verschiedene Fähigkeiten mit einander koordiniert werden. Das Ergebnis solcher Bestrebung ist ein gutes, dabei stets zu verbesserndes Produkt, das zugleich eine Ware, ein Gut und damit tatsächlich eine Besserung darstellt. Design, so Sloterdijk, wird in dem Maß, wie der aktuelle Weltmarkt tatsächlich Besserung honoriert, nicht nur Erfolgs-Faktor unter anderen, sondern zum Grundelement und zur Nährlösung für den modernisierten, das heißt klüger gemachten Erfolg überhaupt. (8)

Mit solchem Wissen lässt sich Philine von Sells fotografische Intention bei Made in Germany besser begreifen, denn in ihren Darstellungen aus der Industrie, wird sichtbar, wie der Anspruch auf Arbeitssystematik, Produktionsexaktheit und Termingenauigkeit zu einer Realität wird, die immerfort auf Verbesserung abzielt.

Eigentlich trifft auch auf den Produktionsgedanken in der Industrie das zu, was der Bildhauer Sol Lewitt einmal in Hinblick auf die Konzeptkunst geäußert hat: "Die Idee wird zur Maschine, die Kunst macht" - nur, dass es beim Industrie-Konzept vor allem um Waren, um Design, um Güter geht, nicht um Kunstwerke. Aber es ist auch so, dass die Grenzen zwischen Design und Kunst im Schmelzen begriffen sind, dass es Überschneidungen zwischen beiden Bereichen gibt, ohne damit gleich zu behaupten, wir lebten derweil in einer künstlerisch gestalteten Wirklichkeit. Es mag aber sein, dass dies ein noch verborgenes, bislang nicht vollends begriffenes und nur halb bewusstes Anliegen der Moderne und ihrer Ausläufer ist. Erst die Zukunft wird uns darüber Aufschluss geben können. Doch wäre es dann eine der letzten, wenn auch eine der größten Utopien, die uns aus der Moderne des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart leuchtet.

Dies vom Ansatz her erkannt und in Fotografie umgesetzt zu haben, ist ein Verdienst Philine von Sells, die ihre künstlerisch-persönliche Sichtweise zum Ausgangspunkt der großen Recherche Made in Germany gemacht hat. Im Sinne des Verbesserungsgedankens trägt sie damit zu einer Verbesserung unserer Kenntnisse über viele Bereiche der Produktion in der Industrie bei.


Anmerkungen:

1) Ingeborg Güssow: "Die neusachliche Photographie", in "Kunst und Technik in den zwanziger Jahren - Neue Sachlichkeit und Gegenständlicher Konstruktivismus", Katalog zur Ausstellung in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus, München 1980, S. 97 f.
2) Walter Benjamin: "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit", S. 89 f. Frankfurt/Main 1963
3) ebd., S. 90
4) Wilfried Wiegand: "Neue Sachlichkeit und Technik - Fabrikschornsteine und Kopfhörer", Rezension zur Ausstellung "Technik in den zwanziger Jahren - Neue Sachlichkeit und Gegenständlicher Konstruktivismus", Ausstellung in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus, München 1980, in: FAZ, 31. 7. 1980, S. 21
5) Bereits im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts wurde das Qualitätssiegel Made in Germany auf vielen Waren neben der Herstellerbezeichnung angebracht, zum Beispiel auf Porzellan, Bestecken und Kriegsausrüstung wie Messern und Dolchen, aber auch auf Orden. Als Ende des 19. Jahrhunderts neben dem Vereinigten Königreich auch andere europäische Industrienationen aufstrebten, begann man in Großbritannien, sich mit der Kennzeichnung importierter Ware gegen vermeintlich minderwertige Nachahmungsprodukte zu schützen. Diese Kennzeichnung betraf zunächst nur deutsche Ware und erfolgte 1887 durch die Bezeichnung Made in Germany. 1916, während des 1. Weltkriegs, weitete das britische Handelsministerium die Bezeichnungen auf Made in Austria/Hungary (Hergestellt in Österreich-Ungarn) verpflichtend aus. Dadurch sollten britische Produkte besser geschützt werden und es den Briten leichter gemacht werden, die Waren der Kriegsgegner zu erkennen und zu boykottieren. Die Kennzeichnung wurde auch nach dem Krieg beibehalten. Da die Qualität der deutschen Waren aber in der Regel gut - oft sogar besser als die der einheimischen Produkte - war, setzte sich die Kennzeichnung nicht nur in Großbritannien zunehmend als Qualitätsausweis durch. Während des "Wirtschaftswunders" der 50er und 60er des letzten Jahrhunderts begleitete die Marke als Made in West Germany den wirtschaftlichen Aufstieg der Bundesrepublik Deutschland. Das Siegel Made in Germany wird von keiner zentralen Stelle kontrolliert. Trotzdem grenzen diverse Gerichtsurteile den Begriff klar ab. 1974 bemängelte der Bundesgerichtshof, dass der einheitliche Begriff Made in Germany eine Unterscheidung zwischen den beiden damaligen deutschen Staaten nicht ermöglichte. So hielten Made in West oder Western Germany und Made in GDR, also Hergestellt in der DDR, nach und nach Einzug. Heute ist der Begriff Made in Germany wieder das internationale Erfolgslabel der deutschen Industrie.
6) Peter Sloterdijk: "Der ästhetische Imperativ - Schriften zur Kunst", Hamburg 2007, S. 146
7) ebd. S. 143
8) ebd. S. 156

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