von Peter Funken
In: Kunstforum, Band 191, 2008, S. 242
Bern Koberling, geb.1938 in Berlin, Deutschland; lebt in Berlin, Deutschland.
Dieser Mann ist energetisch, er hat die Gabe leidenschaftlich zu sprechen und seine Bilder haben suggestive Eigenschaften. Wir sitzen in Bernd Koberlings Kreuzberger Atelier, es ist früher Abend, der Blick aus dem Fenster geht über monotone Flachbauten - Zementlager, Speditionen, die Spree, dahinter der Ostbahnhof, Straßen, Autos, Graffitis - darüber ein großer blauer Himmel. Abenddämmerung, die Kuben der Industriearchitekturen verschwinden in der Dunkelheit. Koberling arbeitet an verschiedenen Bildern, am Boden, gleichzeitig. Viele Schichten Gesso sind auf jeder Platte, bis eine ultra-dichte, ideale Malfläche entstanden ist. Er malt mit flüssiger Arcylfarbe, die sich langsam trocknend mit dem Bildgrund verbindet. Farbschichten und Farbverläufe mischen, überlagern sich, es entwickelt sich eine unglaublich transparente Strahlkraft. Vor dem fast weißen Untergrund entstehen Vernetzungen, Kulminationen, Brennpunkte, feine Farbkonstrukte und Ablagerungen, die von innerer Bewegung und geistiger Facon berichten, von einem Gebiet jenseits der Pupille, einer Welt, die man am ehesten im Pflanzlichen und Kristallinen vermutet. Die Wirkungsweise der Farben ist geplant - vom Künstler, der seine Bilder wie ein Konstrukteur kalkuliert. In Koberlings neuen Arbeiten ist die Natur der Farben zum vorrangigen Thema geworden. Man muss seinen Kunst- und Naturbegriff als einen radikalen und konkreten begreifen. Es ist etwas an seiner Malerei, das sich der Beschreibung entzieht, etwas Vorsprachliches und doch Konkretes - es ist die Farbe als einmalig wunderbare Erscheinung im Substrat des Pigments, nahe der Alchemie, jenseits von Farbsymbolik. Mit seinem künstlerischen Unterfangen ist eine Art von Selbstversuch mit Anspruch auf Standortbestimmung und Entwicklung gemeint, immer vor dem Hintergrund der Geschichte der Moderne, die - versteht man sie richtig - viel weiter zurückreicht als bis ins 19. oder 20. Jahrhundert. Seine Arbeiten der letzten Dekade erscheinen wie ein Resümee dessen, was er in den letzten 40 Jahren an Erfahrung gesammelt hat, was er in zahlreichen Experimenten und Bilderserien entwickelte. Immer ging es um die selbst gestellte Aufgabe, erkannte Horizonte, künstlerische Ergebnisse infrage zu stellen und Malweisen weiter zu entwickeln. Auch ging es um eine neue Sicht der Dinge, darum, eine Präzisierung der Ausdrucksformen für sein Thema zu erschaffen: die Darstellung der eigenen Wirklichkeit und ihrer Begriffe durch Malerei.
Jetzt, im 70sten Lebensjahr, werden seine Bilder immer differenzierter, konzentrierter und gelöster. Koberling geht weiter in Richtung einer Kunst, die in Verbindung steht mit dem so genannten Sublimen, aber auch mit Erscheinungen des Konstruktiven, keine geometrische Abstraktion, sondern eine des Biologischen, des Mikro- und Makroskopischen. Kunst ist für ihn eine existentielle Unabdingbarkeit, eine Sache, die mit Herz, Verstand und Präzision geschieht und die ein Ziel besitzt - Geist und Schönheit zu entwickeln, beides muss immer bildnerisch erfunden werden. Bernd Koberling, 1938 geboren, erlebte als Kind den 2. Weltkrieg und die Bombenangriffe in Berlin. Aufgewachsen ist er in einer Ruinenstadt mit einer Ruinennatur: "In den Trümmern blühten Lilien und andere Pflanzen, ich legte Beete an, einen kleinen Garten, doch den zerstörten die anderen Kinder schon bald." 1955 beginnt er eine Kochlehre, die er drei Jahre später beendet. Danach studiert er an der Berliner Hochschule Malerei. 1961 bekommt er die Chance nach England zu gehen, er arbeitet für zwei Jahre in einem Restaurant und malt. Er lernt englisch und sieht eine andere Welt jenseits der traumatisierten deutschen Wirklichkeit. Schon 1959, als Student reist er nach schwedisch Lappland, er beginnt mit dem Fliegenfischen, wandert und zeichnet in dieser großen, fast unberührten Natur. Wieder in Berlin, der geteilten Stadt, investiert er in sich und in die Kunst, er will etwas Neues - nicht das bereits Erfundene, die gestisch-abstrakte Malerei, die mittlerweile zur "Weltsprache" avanciert ist. 1965 findet in der Selbsthilfegalerie "Grossgörschen 35" seine erste Einzelausstellung statt, der er den programmatischen Titel "Sonderromantik" gibt. Es geht ihm "um die Neuerschaffung des Bildes aus Erlebniskraft und Geschautem", wie er in einem Text formuliert. Er will eine Gegenwelt zur Enge der "Wirtschaftswunder"-Gesellschaft. Der arktische Naturraum erzeugt in ihm bildnerische Vorstellungen. Man kann seine damalige Einstellung als eine Form des Existentialismus begreifen, auch als eine, der Beat-Generation in den USA verwandte Reaktion auf die bedrohliche Unkultiviertheit der Zivilisation, die kaum dem Untergang entronnen, bereits erneut im "Kalten Krieg" erstarrt ist und ihr Heil - zumindest im Westen - vor allem im Konsum sucht. Sein Bahn brechendes Bild dieser Periode zeigt einen Mann in roter Angeljacke, der einen geheimnisvoll schwarzen Fisch präsentiert. Es ist ein Gegenbild und das Bildnis des Künstlers, der sich damit archaisch-modern porträtiert. Die 1963 entstandene Arbeit - eine Ikone des Jahrzehnts - nimmt in dunkel leuchtender Farbigkeit und der radikalen Komposition vieles von dem vorweg, was zwei Jahrzehnte später mit dem Label "Wilde Malerei" versehen wird. So ist dann auch der Begriff "Sonderromantik" zu erklären, den Koberling bewusst, keinesfalls ironisch verwendet: Mit dem Beginn der Moderne in der Romantik wird das Landschaftsbild neu erfunden und eigenständig. In ihm kann der Künstler seine Beziehung zur Welt, seine Nähe oder Distanz zu Gott, zu sich und zur Gesellschaft benennen. Es ist ein Genre, mit dem Maler wie C. D. Friedrich, Clausen Dahl oder William Turner im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts subjektiv Erlebtes radikal zu bezeichnen vermochten. Koberling bezieht sich mit "Sonderromantik" auf solche Meister, doch stößt er sich zugleich deutlich von ihnen ab, denn das moderne Gefühl, daß jede Kunst - auch die Malerei - im 20. Jahrhundert zu den Bedingungen des technischen Zeitalters geschieht, blieb auch ihm nicht verborgen. Die Unabhängigkeit, die die nach der Erfindung der Fotografie von Dokumentaraufgaben befreite Malerei erreichen konnte, hat ihre Sonderstellung bedingt. Von nun an wurde das gemalte Bild zum Resonanzboden für Experimente, es war prädestiniert für die Darstellung von Subjektivem, Utopischem, Erhabenem, Absolutem und Konkretem. Doch hatte man mit der Abstraktion die Figur und den Gegenstand aus dem Blick verloren. Insofern schließt sich die Malerei Koberlings wieder an die gegenständliche Bildwelt an - auf einem gebrochen-utopischen Weg. Deshalb nennt er seine Malerei völlig zurecht "Sonderromantik".
Aus dem Bedürfnis einen atmosphärischen Raum zu schaffen, beginnt er 1965 mit den "Überspannungen". Dies konnte ihm nicht mit herkömmlich malerischen Mitteln gelingen, dazu bedurfte es einer Erfindung. Er beginnt seine starkfarbigen, expressiven Bilder mit einer dünnen Nesselschicht zu überspannen. Es erscheint ein transparenter, flächiger und doch räumlicher Landschaftsraum. Auf dieser zweiten Malfläche kann er die Elemente Wasser, Erde und Luft getrennt darstellen und dadurch eine formal reduzierte Landschaft erschaffen. Zum Schluss wurden die Bilder wurden mit einer Folie überspannt. So entsteht ein geradezu utopischer Landschaftsraum, in dem Bäume, Flussläufe und Inseln die signifikanten Gegenstände sind.
Seit 1968 kann Koberling von seiner Kunst leben. Er wird Stipendiat der Villa Massimo, Rom. In seiner Kunst ereignet sich ein krasser Bruch. Ihm gelingen keine "Überspannungen" mehr, vielmehr sucht er in der Malerei die Symbole seiner Bilder mit Zeichen und Worten zu deuten. Es ist die Zeit der studentischen Rebellion. Er ist politisch aktiv und fragt provozierend: "Warum sehen Eure roten Fahnen so braun aus?" Im gleichen Jahr entsteht das Bild "Roter Schnee". Auch die zu Beginn der 70er Jahre entwickelte 10-teilige Bilderserie "Malwasser" war Resultat neuer Wahrnehmungen in Hinblick auf ästhetische und gesellschaftliche Möglichkeiten. Die Serie ist das Ergebnis konkreter Experimente mit einem primären Stoff der Kunst und des Lebens - dem Wasser. "Malwasser" ist Koberlings radikale Formulierung zu Themen wie Malerei, gesellschaftliche Funktion von Kunst und Künstler. Das Schlussbild der Serie zeigt das chinesische Schriftzeichen für Wasser sowie am unteren Bildrand das angeschnittene Wort "Mal", das sich dadurch wie "Mai" liest und assoziativ auf eine politische Utopie anspielt. "Malwasser" ist eine konkret-konzeptuelle Arbeit, denn in den Bildern wird thesenartig die Frage aufgeworfen, woher die Malerei kommt, wie man malen kann und welche Bedeutung das künstlerische Prinzip für die Kultur hat. Auch bei anderen Serien verwendet Koberling Schrift und Text im Bild. In unserem Zusammenhang sei deshalb das "Terrorbild" erwähnt, die letzte "Überspannung", bei dem in einem großen Geröllfeld mit Schneeinseln, sich in ihrer Anordnung das Wort "Terror" verbirgt und dann plötzlich deutlich erkennbar wird. Die Leseleistung des Betrachters wird ihm zum Choc, denn die semantische Stabilität bei der Wahrnehmung eines vermeintlich romantischen Landschaftsbildes ist deutlich in Frage gestellt und wird erschüttert. Solche Operationen im Grenzgebiet der Malerei handeln davon, dass Koberling die Wirklichkeit, wie auch die Grenzen des Tafelbildes zu überprüfen beginnt und dabei auf Lösungen stößt, die in Richtung von Konkretheit und Objekthaftigkeit zeigen. Diese Feststellung ist wichtig, um die Bedingungen für seine spätere Kunst zu begreifen, denn es ging und geht dem Künstler gewiss um Malerei, doch mehr noch, um neue Formulierungen für Bilder - das bedeutet, um Konzepte für eine Kunst, die in Bewegung ist, und die das Vorläufige, das unserer Existenz entspricht, bezeichnen kann. Es ist gewiss kein Zufall, dass Koberling seit Mitte der 70er Jahre und bis zu dessen Tod 1998, eine Freundschaft mit Dieter Roth verband und bis heute mit Björn Roth verbindet. Auf Einladung Dieter Roths fuhr er 1977 zum ersten mal nach Island. Die Vulkaninsel im Atlantik wurde ihm eine Wahlheimat, die er seitdem jedes Jahr mehrmals besucht, um in der Natur zu aquarellieren und zu fischen. Beim Aquarell hat er eine besondere Form des close-up entwickelt, denn er zeigt Pflanzen, Gräser, Flechten und Moose in einer introspektiven Weise, im Versuch der subjektiven Erkenntnis ihres Daseins. In den folgenden Jahren entstehen zahlreiche Serien, in denen die dargestellten Pflanzen, Beeren, Flechten oder der Laich kaum mehr als Gegenstand gezeigt werden, sondern ihr vegetativer Kosmos. Mit der Ablösung vom naturalistischen Abbild findet auch die Hinwendung zur Darstellung reiner Erscheinungen von Farbe und Form statt. Eine, diese Entwicklung forcierende Erfahrung, ereignet sich 1999, als Koberling den Wettbewerb für die Gestaltung des neuen "Bundesministerium für Justiz" in Berlin gewinnt: Zum ersten mal arbeitete er auf speziell präparierten Bildträgern - auf Aludibondplatten, die intensiv grundiert und geschliffen wurden. Damit ergeben sich für seine Kunst ungeahnte Möglichkeiten, denn er kann auf diesen oder vergleichbaren Bildgründen, wässrige Farben in den Grund einsinken lassen, Farbschichten und Lachen auftrocknen oder - so nötig - durch Abschleifen wieder entfernen, also den gesamten Malprozess gesteuert beeinflussen. Die Malerei steht nunmehr auf einem fast weißen Untergrund im Bildraum. Sie ist nicht länger geformt materiell, sondern luzide, integral, geradezu innerbildlich. Obwohl transparent, erscheint sie unglaublich präsent. Malerei, so wie sie nun im Werk Koberlings geschieht, hat nichts mit Moden oder Reminiszenzen zu tun, es ist keine Kunst des Zitierens, des Kommentierens oder der Anspielung, viel eher ist sie im Sinne eines Weges (japanisch: do) zu verstehen, der ja auf verschiedene Weise beschritten werden kann. Ob dies als Kunst des Bogenschießens, Ikebana, Fliegenfischens oder der Malerei geschieht ist keineswegs nebensächlich - aber immer wird eine absichtslose Absicht, eine teilnahmslose Teilnahme angestrebt, um zum Ziel zu gelangen, um ins Schwarze zu treffen, um Schönheit, Einfachheit, Leben und Tod zu erzeugen oder zu beschreiben. Dies bedeutet, dass man mit hoher Konzentration ans Werk geht, dass man alles plant, einsetzt und möglicherweise im Moment aufs Spiel setzt. Koberlings Kunst besitzt heute Eigenschaften eines "organischen Konstruktivismus", sie spiegelt sein hochsensibles Farbempfinden und seine konzentrierte Impulsivität wieder. Es ist eine Malerei der Exterritorialität, bei der er Formen freisetzt und die Farbe auf ihrem Weg vom Materiellen hin zu einem Punkt begleitet, der fast jenseits des Stofflichen liegt. Kandinsky sprach vom "Geistigen" einer Kunst der Gegenstandslosigkeit, auch bei der Deutung der "sublime art" wird dieses Wort verwendet. Die Sprache müsste, um Koberlings Werk gerecht zu werden, vor allem poetisch und metaphorisch sein, denn seine Malerei zeigt Flüssiges, Verfließendes, Farbbewegung, Übergänge, Ephemeres und sogar die Idee des Vorsubstanziellen - also kaum je feste Zustände. Seine Bildwelt wäre als eine kosmische zu beschreiben - wohl vor allem als mikro- und makrokosmische Darstellung von noch nicht gesehenen Dingen und Erscheinungen. In diesem Sinne scheint sie nicht alleine von dieser Welt, sondern wendet sich ins Unbekannte, Offene und Ungebundene. Aber ebenfalls ist seine Kunst vollends konkret und im Material anwesend, da er die Farbe in ihrem ursprünglichsten Zustand vorstellt, als Fleck und freie Form, auf die er freilich Einfluss nimmt. Der Künstler ist von daher ein selbst beauftragter Schöpfer, der im Chaos des Flüssigen Sinn stiftend wirkt. Er wäre im Gedanken Kafkas und Benjamins eine Art von Mittler zwischen der Zeit, die Schreckliches gebiert, und dem verloren geglaubten Paradies. Keinesfalls ist er Esoteriker - dazu ist seine Malerei zu präzise, zu arktisch kühl - aber er ist immer ein Künstler des sinnlich Schönen und Ergreifenden. Von seiner Haltung erscheint er als konkret planender Erfinder und Konstrukteur eigener Wirklichkeit. Dies war er bereits zu Anbeginn, als er in den 60er und 70er Jahren Steine, Sümpfe, Bäume, Wale und Balken tragende Strandarbeiter malte, denn auch da ging es ihm, wie er sagt, um "Bewusstseinshorizonte". Die Formen und das Licht Nordeuropas hätten seinem Pinselduktus entsprochen, nicht umgekehrt. Selbst bei der seltenen Darstellung von Menschen seien die "Horizontträger" keine realen Personen gewesen.
Mit den Arbeiten der letzten Jahre, bei denen er das Fließende und die Beweglichkeit der primären Malmaterie Wasser zu reiner Schönheit gebracht hat, zeigt er in lebendigen Bildern das, was der abendländischen Vorstellung vom Geistigen am ehesten zu entsprechen scheint - Leichtigkeit, Transluzidität und Präsenz.