"Memento"
Gruppenausstellung mit Arbeiten von Peter Weibel, Sean Scully, Martin Roos, Sophie Ernst.

Berlin, Galerie 401 CONTEMORARY

12.3. - 24.4.2010

von Peter Funken



"Memento" bedeutet soviel wie "erinnere dich" oder"bedenke ..."* und so überschreibt Ralf Hänsel die aktuelle Gruppenausstellung in seiner Galerie 401 contemporary, die er seit einem Jahr in Berlin-Mitte betreibt. In London hat Hänsel zudem einen Projektraum. An beiden Orten finden vor allem Ausstellungen konkreter und konzeptueller Kunst statt. Charakteristisch für Hänsels Programm ist es, dass er bei den Ausstellungen immer wieder Künstler verschiedener Generationen zusammenführt und in thematische Zusammenhänge bringt - so etwa bei dem Lichtprojekt"380 - 750 nm" den 1990 verstorbenen Adolf Luther zusammen mit der 1979 geborenen Alicja Kwade oder bei der Ausstellung ZEROplus, Otto Piene und Luther mit den jüngeren Künstlern Jakob Mattner und Fritz Balthaus sowie der folgenden Generation - Jonas Burkhalter (*1983) und Zilvinas Kempinas (*1969).
Auch bei"Memento" begegnen sich Generationen, denn Hänsel führt bereits bekannte Künstler, wie Peter Weibel und Sean Scully mit Sophie Ernst und dem erst 23jährigen Martin Roos zusammen. Natürlich sagt das Alter nicht all zu viel über die Kunst aus, aber bei Hänsels Ausstellungen entstehen mit dem Brückenschlag über Generationen Möglichkeiten, Entwicklungslinien zu erkennen und Positionen zu verfolgen. Hänsel bezeichnet sein Programm als konzeptuell-poetisch. Den 60jährigen stört die Kurzatmigkeit des Kunstbetriebs, er wünscht sich inhaltlich prägnantere Ausstellungen und dass die jüngeren an den älteren Künstlern wachsen.

Bei "Memento" zeigt Peter Weibel drei neue Skulpturen, die er als"bewohnbare Bibliotheken" bezeichnet. Es sind fantastische Architekturmodelle aus Alu, Glas, Holz und Karton, in denen sich neben vielen Bücherwänden auch Monitore befinden: In einem der dort gezeigten Videos sieht man Peter Weibel, der beschriftete Wände umstößt, auf denen folgende Sätze zu lesen sind: Nieder mit dem Steuerstaat, Nieder mit der Wirtschaftsreligion, Nieder mit den Banken, den Bankrotteuren, den Wirtschaftssubventionen. So deutlich hat bislang wohl kaum ein Künstler zur Finanz- und Wirtschaftskrise Stellung bezogen. Die Bibliothek wird bei Weibel zur Metapher für Wissen und Macht. Er wirft mit seinen futuristischen Bibliothek-Modellen, die doch eigentlich an Architekturen der Finanzwelt erinnern, Fragen auf - etwa wie mit Wissen Macht erzeugt wird, wie Herrschaftswissen manipuliert und wie die Wissenden in den Zentralen globaler Finanzmacht die Welt reglementieren und ins Chaos führen. In einem anderen, poetisch anmutenden Video benennt Weibel eine fast romantisch erscheinende Gegenposition dazu, wenn er in einem kosmischen Spiralnebel die Sentenzen erscheinen lässt: "Sterne sind weiße Buchstaben auf der schwarzen Seite des Himmels / Buchstaben sind schwarze Sterne auf der weißen Seite des Himmels". Dies erinnert im Sprachduktus an Fürst Pücklers Schriftzug auf dem grünen Gitter der Landpyramide im Park zu Branitz: "Gräber sind die Bergspitzen einer neuen Welt".

Sean Scully ist bei der Ausstellung mit schwarz-weiß Fotografien vertreten, die er in den Favelas von Sao Paulo aufnahm. In den Kompositionen durchaus seiner Malerei verwandt, zeigen Scullys Fotos zusammengeschusterte, aber doch mit Sinn und Ziel gebaute Armutsarchitekturen, in denen Menschen auf eine bessere Zukunft hoffen - immer besteht der Plan durch Arbeit die Favela zu verlassen, während dann noch Ärmere nachrücken, vom Land in die Stadt ziehen, um dort ihr Glück zu finden. Immerhin ein Fünftel der Bewohner Sao Paulos und Rio de Janeiros leben in solchen Behausungen.

Vom Verlust der Heimat und erträumtem Glück handeln die beiden Videoinstallationen der in Leiden/ NL lebenden Künstlerin Sophie Ernst. Für die Installation "Home" machte sie Interviews mit Flüchtlingen aus Pakistan und Palästina, die - während sie über den Verlust der Heimat sprechen - mit dem Stift auf Papier ihre verlorenen Häuser und Anwesen skizzieren. Die Interview-Filme projiziert die Künstlerin auf weiße Architekturmodelle, die sie nach den Zeichnungen der Flüchtlinge bauen ließ. Die Filme konfrontieren Erinnerungen an Vergangenes mit Vorstellungsmodellen, die doch an sich für zukünftig geplante Bauten in Auftrag gegeben werden. Mit dieser dokumentarischen Arbeit wird eine Behauptung auf den Fortbestand des Verlorenen durch Erinnerung aufgestellt und zugleich eine Bedeutung proklamiert, deren Kraft aus der Vergangenheit stammt und in die Zukunft weist. Im Basement der Galerie ist Sophie Ernsts Videoinstallation "No Place like America" zu sehen: drei Beamer projizieren dabei Videos auf weiße Umzugskartons, die unregelmäßig im Raum gestapelt sind. In den Filmen sieht und hört man Pakistani, die von ihren Hoffnungen und Träumen auf ein besseres Leben in den USA sprechen.

Martin Roos zeigt bei "Memento" zwei kleine skulpturale Arbeiten. Da ist zum einen ein gelber Zollstock, den der Künstler so an die Wand gelehnt hat, dass er sich leicht durchbiegt. Doch fehlen bei diesem Maßstab die Zentimetereinteilungen, die dem Werkzeug seinen funktionalen Sinn geben. Die Arbeit will auf den sozial konstruierten Charakter des Messens als einer wissenschaftlichen Methode verweisen. Das zweite Objekt des Künstlers schwebt in Augenhöhe - es ist eine kleine Glasschale, die mit Erde gefüllt ist. Genau in der Mitte darüber stehen die Titel gebenden, doppelsinnigen Worte "von dort von dort". Sie suggerieren ein geografisch undefiniertes "Dazwischen" und damit eine "Unbefriedigung bei Zuordnungsversuchen", sagt Ralf Hänsel. Genau diese Situation, erzählt er, würde auch auf ihn zutreffen, denn seine familiären Wurzeln lägen in Dresden, er wäre aber in Hannover aufgewachsen, beide Städte seien ihm keine Heimat geworden.


Wünschen darf man, dass ihm dies mit seiner Galerie in Berlin gelingt.

* zumeist verwendet als"memento mori" = eingedenk des Todes ..." im Sinne des Vanitasgedankens.

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