Minimalism and Applied II
Daimler Art Collection, Berlin

29.10.2010 - 27.03.2011.

von Peter Funken



Unmittelbar am Potsdamer Platz, eingezwängt zwischen moderner Architektur, Shopping-Malls, Steakhäusern und Kaffeehausketten, befindet sich das 1912 erbaute Weinhaus Huth. Es ist das einzige alte Gebäude der Vorkriegeszeit, das den Krieg überdauerte. Nach dem Fall der Mauer wurde Haus Huth von der Daimler Benz AG erworben und renoviert. In der vierten Etage befinden sich heute die Ausstellungsräume der Daimler Art Collection.
Die Kunstsammlung hat in der letzten Dekade ihren Schwerpunkt im Bereich konstruktiver, konzeptueller und minimalistischer Tendenzen entwickelt. Das Interesse galt auch den der Kunst verwandten Bereichen, der Architektur und dem Design. "Minimalism and Applied I" handelte 2007 von dem Zusammenhang zwischen "freier Kunst" und dem Produkt- und Graphikdesign.
Im zweiten Teil der Ausstellungsreihe werden nun insbesondere Beziehungen und Kontexte zwischen herausragenden frühen Vertretern aus Architektur und Möbeldesign und internationaler Gegenwartskunst vorgestellt und veranschaulicht. Vor allem plastische Arbeiten - Objekte, Readymades, Rauminstallationen und Möbelstücke - zeigt die Ausstellung, dies immer wieder in dialogischer Präsentation.
So etwa, wenn Jean Prouvés (1901-1984) funktionales, rotes Bettgestell von 1951 auf Skulpturen und Objekte des Briten Martin Boyce (*1967) trifft. Die Industrieästhetik von Prouvés Bett findet in einer ebenfalls rot lackierten Skulptur in Gestalt eines Abfalleimers von Boyce seine künstlerische Antwort - natürlich jenseits eines unmittelbaren Gebrauchswertes, und doch in Hinsicht auf eine Formsprache und deren Entwicklungsmöglichkeiten in der Gegenwart. Boyce "möbliert" den Ausstellungsraum, wenn er mit der von der Decke hängenden Arbeit "A Forest I", den zahlreichen, am Boden liegenden Faltobjekten, die wie Blätter wirken, sowie der roten Skulptur "Crimson Blossom" ein imaginäres Draußen in den umbauten Raum hineinholt. Insofern kann man bei seinen Ausstellungsbeiträgen von einem Design des Übergangs und einer Kunst des Transfers sprechen, denn seine Skulpturen gehören beiden Bereichen an: Die hängende Skulptur leuchtet, wenn auch nur schwach, der rote Abfallkorb liegt in der Schräge, als würde man ihn bei hoher Geschwindigkeit sehen. Alles wie verwischt ... Kunst als Design, Design als Kunstobjekt.
In dieser Verbindung liegt womöglich eine Formel für die Zukunft verborgen, folgt man den Gedanken Peter Sloterdijks, denn Design ist "als angewandte Kunst immer auch ein Regulator in der subjektiven Ökologie der individualistischen Zivilisation". Dies mit dem Ziel, das Leben des Einzelnen zum Kunstwerk zu machen, durch Lebensdesign, Lifestyle genannt. Nach Sloterdijk steuern wir in eine "neue psychosoziale Ära", hin zu einem kompletten Gestaltwandel, wobei die klassische "tiefe" Trias von Psyche, Erinnerung, Innenwelt ersetzt wird durch die "flache" Trias von Operator, Speicher und Bildraum, in der unsere Kinder bereits zuhause sind. In einem von Sloterdijk prognostizierten "Titanenkampf" fällt dem Design eine multiple Rolle zu, es erfasst alle und alles, auch die Kunst, bedient Hoffnung wie Verzweiflung und spiegelt in großer Unentschiedenheit damit den Zustand aller Kompetenzträger wider. (vgl. Das Zeug zur Macht: Bemerkungen zum Design als Modernisierung von Kompetenz, HH 2007)
Wie radikal und überzeugend die Bilder der Kunst sein konnten, zeigen die Arbeiten von Charlotte Posenenske (1930-1985). Mit ihrem "Raumteiler" (1967), der aus zwei beweglichen, weißen Holzscheiben besteht, lassen sich fast unbegrenzt immer wieder neue, andere Orte herstellen - von der offenen Raumstruktur bis zur klaustrophobischen Zelle reichen die Möglichkeiten, die man mit zwei Handgriffen herstellen kann. Mit Posenenskes Wandarbeit "Diagonale Faltung" (1967) entsteht in ähnlicher Einfachheit ein plastisches Ereignis, ein konkretes Bild, das coole Eleganz besitzt und zudem als Denkimpuls Fragen nach der Wahrnehmung stellt.
Hans van der Laan (1904-1991) war ein niederländischer Architekt und Benediktinermönch. Mit Bett, Tisch und Hocker (alle 1981) stellte er puristische Objekte her, die in der Reduktion ihrer Formen eine strenge, sinnliche Kraft entwickeln. Bei solchen Gegenständen erzeugt die unspektakulär graue Farbe der Oberflächen eine hochkonzentrierte Verfasstheit. "Das Höchste mit dem Niedrigsten versöhnen!", dieser philosophische Ansatz wurde zur Maxime seiner Gestaltung, die in klarer Form, nüchterner Schönheit und der Atmosphäre von Zeitlosigkeit all seine Gestaltungen prägten, so auch Kloster Benedictusberg in Vaals/NL, van der Laans Hauptwerk.
Mit der großen Rauminstallation "salon" zeigt Albert Weis (*1969) eine architekturbezogene Arbeit, die im Sinne einer Fortschreibung konstruktiver und minimalistischer Konzepte begriffen werden soll. "salon" (2010) bildet einen Raum im Raum, der von außen eine konstruktive Bauart demonstriert und innen verspiegelt ist. Im Spiegelraum trifft man auf Röhrenleuchten der Produktdesignerin Eileen Gray (1878-1976) und einen von ihr entworfenen Teppich, allesamt Entwürfe der 1920er Jahre. Grays Gestaltungen hat Albert Weis, so der Katalogtext, zum "Dialogpartner gewählt". Worin aber besteht dieser Dialog - in der Multiplizierung und Verstreuung von Lichteffekten? Die Sache bleibt oberflächlich, verhandelt eher das Zerfasern von Ideen und verharrt im Zitieren, jedoch ohne wirklichen Standpunkt. Eine aktuelle Fortschreibung minimalistischer und konkreter Konzepte braucht heute aber einen definierten Bezug, im Sinne einer Bauaufgabe, als sozio-ästhetisches Design - oder aber sie bedarf der Ironie und des Humors, um sich zu distanzieren und Eigenständigkeit zu behaupten. Humor zeigt Weis immerhin bei seinem "cabinet (crystall)", einer Skulptur wie ein schmaler Einbauschrank, innen voller Aluprofile, außen gespickt mit Schrauben, die diese fixieren.
Ironisch lässt sich auch Sarah Brownes (*1981) "Türstopper" aus Edelstahl begreifen. Der glänzende Keil unter der massiven Bronzetür ist eine Alltagsskulptur und wirkt dabei wie eine gekonnte künstlerische Provokation.

Weitere Künstler der Ausstellung: Jacob Dahlgren, Eileen Gray, Gail Hastings, Ferdinand Kramer, Sylvan Lionni, George Henry Longly, Rupert Norfolk, Philippe Parreno, Charlotte Perriand, Monika Sosnowska.
Zur Ausstellung erschien ein Katalog mit zahlreichen Texten u. Abbildungen.

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