KW69 #3 - "Kalte Gesellschaft" von Judith Hopf.

KunstWerke Berlin 20.1. - 20.2. 2011

von Peter Funken



Die "kalte Gesellschaft" ist moralisch gesehen keine gute oder schlechte Gesellschaft. Sie kann wie ein Uhrwerk funktionieren, weil sie rituell das bestätigt und dem treu bleibt, was ihr bekannt ist. Die Frage ist dementsprechend nicht, "welche realen Ergebnisse die kalten Gesellschaften erzielen", sondern die, "welche dauerhafte Absicht sie leitet; denn das Bild, das die Gesellschaften sich von sich machen, ist ein wesentlicher Teil ihrer Wirklichkeit", schrieb Claude Lévi-Strauss in seiner programmatischen Schrift "Das wilde Denken" (1962). Darin führt er aus, dass es keine qualitative Differenz zwischen begrifflichem und vermeintlich primitivem, mythischem Denken bestehe. Unsere Kultur sei der der "Primitiven" nicht kognitiv überlegen, auch der "Primitive" sei "vernünftig", bearbeite jedoch anderes, konkreteres Material. In beiden Kulturformen werden Klassifikationen vorgenommen, es findet ein Denken in Gegenüberstellungen statt, etwa bei Gegensatzpaaren, wie oben-unten oder heiß-kalt. Dies beweise, dass die Strukturen des Denkens universell und uniform seien, lediglich seine Manifestationen seien kulturspezifisch verschieden. Als wolle sie diesen Gedanken in einer Ausstellung vorführen, dies jedoch nicht wissenschaftlich, eher dann schon assoziativ und spielerisch, hat die Künstlerin Judith Hopf für "Kalte Gesellschaft" Arbeiten ausgewählt, die das Rituelle, kulturell Festgelegte und Eingespielte unserer, vermeintlich aufgeklärten Gesellschaften vorführen und, wie mit leichter Hand, kritisieren.

"Kalte Gesellschaft" ist von daher eine Ausstellung, die auch das assoziative Denken stimuliert, etwa dann, wenn man das loopende schwarz-weiß Video "Who's afraid?/Final Fight" von Kerstin Cmelka betrachtet, in dem ein Paar - man denkt fast automatisch an Liz Taylor und Richard Burton - sich in ihrem Beziehungsdrama mit Vorwürfen, Unterstellungen und Androhungen wiederholt und dabei zerfleischt. Konterkariert wird die Filmhandlung durch den eingeblendeten Stones-Song "Gimme Shelter", wie auch durch eine rosafarbene Softskulptur in Form einer großen Hand, die vor der Projektionsfläche am Boden liegt. Eine schöne assoziative Verbindung zum Thema gelingt Lena Henke mit vier Skulpturen, die laut der Titel Präsidentengattinnen darstellen. Dafür hat die Künstlerin runde Stehtische, die man von Empfängen kennt, mit verschiedenem Material ergänzt. Die Michelle Obama verkörpernde Figur besteht aus dem Tisch und einem zusammenmontierten Sockel, der aus grünem Styropor, blauer Farbe und Zement gefügt ist. Bis unter die Decke reicht die Skulptur der Carla Bruni, Ehefrau von Sarkosy, wobei der Gesellschaftstisch hier von einer schwarz-weiß bemalten Holzkonstruktion hochgestemmt wird.

Vier C-Prints, die eine Holzstich-Collage von Max Ernst zum Ausgangspunkt haben, manipulierte Henrik Olesen mit eigenen Veränderungen: "Ich bringe euch § 175" oder "Glückliches Jahrhundert des Kapitalismus, glückliches Jahrhundert des Familialismus" schreibt Olesen in die Collagen hinein, die immer ein maskulines Ungeheuer und ein Paar im Bett zeigen. Variierend sind weiße und schwarze Männer oder ein weißer Mann und eine weiße Frau dargestellt, so dass das Stereotyp "weißer Mann liebt weiße Frau" nur noch ein Muster unter vielen ist. Vier hochformatige Aluplatten hat der schottische Künstler Ruairiadh O'Connell mit Schrauben an die Wand gebracht. Auf jede Platte ist eine andere, schwarze, zittrige Spur gedruckt. Die mit "Boston Shaker" und "Cobbler Shaker" benannten Arbeiten zeigen Schüttelbewegung beim Mixen von Drinks. In der Ausstellung benennen sie somit typische Handbewegungen in unserer Kultur.

Man merkt bereits, dass die Künstlerin Judith Hopf, die sich in Anlehnung an Mike Kelly als "Sonntagskuratorin" bezeichnet, die Sache auch von einer amüsanten, charmanten Seite angeht. Ihr Beitrag besteht in der Präsentation einer Reihe von schwarz-weiß Fotos, die der amerikanische Künstler Saul Steinberg 1961 zusammen mit Inge Morath herstellte: In "The Mask Series" zeigen sich Steinberg und Freunde mit Masken aus Papier, auf die Steinberg vorher animalische und archaische Gesichter gezeichnet hatte. Diese Fotos sind komisch und zugleich berühren sie. Aus "zivilisierten" New Yorkern werden "Wilde", wobei Steinberg seine Art des Existenzialismus mit ironischem Ernst zu formulieren weiß. Sechs Jahre später in Berlin, beim Protest gegen den Besuch des Schahs von Persien, maskierten sich Demonstranten mit Papiertüten, auf denen das Konterfeit des Schahs zu sehen war. Eine künstlerische Erfindung wurde zur Form politischer Manifestation, das Identitätsexperiment in Steinbergs Studio zu einem neuen Ritual der Kritik. Judith Hopf hat angeregt von Steinbergs "Mask Series" unter dem Titel "Erschöpfte Vasen" Gesichtsgrotesken auf weiße, bauchige Vasen gezeichnet. Sie stellte diese Arbeiten bei der vorherigen Ausstellung der Reihe KW69 aus.

Dieser Ausstellungszyklus, der auf Initiative der KW-Leiterin Gabriele Horn in einer Wohnung im Vorderhaus der KunstWerke stattfindet, funktioniert wie ein Staffellauf, bei dem jeweils ein/e Künstler/in zu einem selbst gewählten Thema Kollegen einlädt. Judith Hopfs "Kalte Gesellschaft" ist Teil 3 des Projekts, das im Oktober 2010 mit Angela Bullochs "Molecular Etwas" begann. Die kommende Ausstellung kuratiert die von Judith Hopf eingeladene Kerstin Cmelka.

In monatlicher Abfolge tauschen die Beteiligten die Rollen, agieren als Künstler und laden dann selber ein. Das Wechselspiel eröffnet Möglichkeiten für Experimente, Perspektivwechsel und den unkonventionellen Umgang mit der kleinen Ausstellungsfläche.

In einem Video, das Martin Ebner und Florian Zeyfang für "Kalte Gesellschaft" herstellten, sieht man die beiden, ähnlich wie es Lévi-Strauss beschrieben hat, als Tribes vor ihren Zelten sitzen - in ziemlicher Distanz und doch in einer Beziehung, beobachtend, abwartend. Ihre "Dorfgemeinschaft" befindet sich auf einem verwilderten Brachgelände - eigentlich ganz so, wie in der Lebenswirklichkeit von Künstlern: Die Entfernungen zwischen ihnen mögen groß sein, doch reflektieren sie alle über Manifestationen in ihrer Zeit, in einer Kultur, die zunehmend universell erscheint, dabei jedoch die Uniformität verhindern will.

Noch ein Hinweis - die sehenswerte Ausstellung von Skulpturen und weiteren Arbeiten Absalons in den KW wurde bis März 2011 verlängert.

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