Meuser, "Und Erich mittendrin"

Galerie Nordenhake Berlin
27.4 - Juni 2012

von Dr. Peter Funken


Es war eine richtige Freude beim eher mäßigen Berliner Gallery Weekend in die Galerie Nordenhake zu kommen, denn dort war endlich eine Kunst zu sehen, die zugleich scharfkantig, präzise und spielerisch ist, und nicht dem allzu oft jämmerlichen Trubel angehört, der derzeit an verschiedenen Orten in Berlin stattfindet.

Mit den neuen Skulpturen seiner Außtellung "Und Erich mittendrin" gelingt es Meuser bei Nordenhake eine Raumadäquate und spannende Situation zu schaffen, die zugleich Sinne und Geist beschäftigt und damit zeigt, daß in dem zunehmend vom Design überformten, ins Design abdriftenden Betrieb noch etwas anderes möglich ist, als die Unter- oder Überforderung des Kunstbegriffs. Meuser stellt rund zehn neuere Arbeiten aus, fast alle sind im Zeitraum 2010/12 entstanden. Mit dem Titel seiner Show scheint er sich lose an der Logik einer öffentlich zugänglichen, dennoch geradezu häuslichen Umgebung zu orientieren, denn er spielt mit "Erich mittendrin" auf den verschwundenen "Palast der Republik" an, der zu DDR-Zeiten scherzhaft auch "Erichs Lampenladen" genannt wurde, weil an der Decke des Palastfoyers Unmengen von Glaskugelleuchten in einer bizarr-konstruktiven Aufhängung nicht nur helles Licht spendeten, sondern so etwas, wie eine kybernetische Zukunftsvision suggerierten. Auch Meuser zeigt drei Lampen, eindeutig sind dies aber Stehlampen, die der Künstler aus alten Zinkwaschzubern gestaltete, die er umgedreht auf dünne Stelzen montierte. Wie immer handelt es sich dabei um Fundstücke vom Schrott, der Urzelle der Meuser'schen Skulpturen und Objekte. Daß der Schrottplatz, dieser Ort für Abgewracktes, die Keimzelle für Meusers Kunst ist, vermittelt ihr eine elementare Kraft und schafft Verbindung zur gesellschaftlichen Wirklichkeit, die neben allem anderen, immer noch von Arbeitprozeßen am Material, vom Formen, Um- und Verformen geprägt wird. Um solches weiß der 1947 in Eßen geborene, im Ruhrgebiet aufgewachsene Meuser, denn als Bildhauer nimmt er sich das ganze ausrangierte Zeug noch einmal vor - ernsthaft, glaubwürdig, das bedeutet, mit Ironie und Distanz, im Gedanken und der Praxis einer eigenständigen künstlerischen Handlung und Haltung. Und so begegnen uns in der Außtellung die Dinge in ihrer Schwere und Leichtigkeit, transformiert, zerdrückt, zusammengeschweißt oder montiert und immer wieder in subtilen Farbfaßungen. Meusers Arbeiten mögen zwar vor allem Skulpturen sein, doch sie verfügen oft über Bildeigenschaften, besonders dann, wenn sie wie Bilder an den Wänden hängen und ihre Oberflächen malerisch subtil bearbeitet oder eingetönt wurden. Auch imitieren und konterkarieren viele seiner Arbeiten Alltagsgegenstände - die "Lampen" wurden bereits erwähnt, und auch bei der maßiven, bleigrauen Stahlskulptur mit dem Titel " Zur ihrer eigenen Sicherheit: Geht nichts rein und geht nichts raus", denkt man unwillkürlich an einen Safe oder Geldautomaten#059; tatsächlich erweisen sich die an der Schauseite der an der Wand hängenden Skulptur anmontierten Flächen und Kästen als verschweißt und damit im Funktionßinn natürlich unbrauchbar. Im Gedanken der Kunst aber wird dieser Gegenstand zu einer höchst intereßanten Persönlichkeit, mit der sich, durch geplanten Hintersinn des Künstlers entstanden, alle möglichen Spekulationen über das Finanzwesen, kriminelle Versuche solche Geldmaschinen zu knacken und ähnliches verbinden laßen. Die Arbeit, obwohl in ihrer Konstruktion abstrakt, besitzt aufgrund ihres abweisenden Brutalismus und wegen dem Titel eine aßoziative Nähe zum realen Ding und damit zu Konnotationen, die zwar völlig offen bleiben, aber zugleich eine deutliche Nähe zur gesellschaftlichen Wirklichkeit beinhalten.

Es fällt auf, daß mehrere der Skulpturen in einem Raum zusammen solchen Eindruck steigern und sich in ihrer Wirkung gegenseitig ergänzen. Begreift man, daß Meusers Arbeiten geradezu einen Persönlichkeits- oder Individualcharakter annehmen können, dann reift auch bald die Erkenntnis, daß von daher komplexe Situationen entstehen, die dazu führen, daß sich wie bei "Erich mittendrin", tatsächlich die einfühlenden Vorstellungen einer Einrichtung oder Möblierung speziellen Charakters ("Erichs Lampenladen") ergibt. Vielleicht klingt solches zuerst ein wenig merkwürdig - doch es paßiert, wenn man sich auf die seltsamen Typen, die in der Meuser-Außtellung versammelt sind, einläßt: Sein "Urmel" ist natürlich kein Abbild eines kindlichen, neugierigen Drachens, sondern eine zerdrückte, durch Gewalteinwirkung unregelmäßig zusammengefaltete Metallbox - aber welcher Titel hätte hier wirklich gepaßt? Ein langweiliges "Ohne Titel" gewiß nicht, und jedes Pathos wäre sowieso unsinnig, und deshalb ist "Urmel" - egal ob man einen Zusammenhang zwischen dem Gegenstand und dem Namen erkennt oder nicht, in seiner aßoziativen Nähe und Distanz genau paßend. Kunst ist eben auch paradox und willkürlich. Nach einem "Erich mittendrin" fahndet man deshalb vergeblich, denn Mitten im Außtellungsraum steht nicht er, sondern die mit "Ente" benannte Arbeit, hergestellt aus einer eckig-offenen Tischkonstruktion, in die eine Zinkbadewanne geschoben wurde. Hier eine "Ente" erkennen zu wollen, wäre zuviel verlangt, aber daß dieses Kunstwerk maßive Materialwidersprüche zu bewältigen hat, ihm dies gelingt und es sich dermaßen im Zentrum der Außtellung behauptet, sollte dennoch erwähnt sein.

Kunst, wie Immanuel Kant es formulierte, sei "obgleich ohne Zweck, für sich selbst zweckmäßig." Dieser Gedanke scheint bis heute aktuell und angesichts von Meusers Skulpturen und Objekten für sein Arbeitsprinzip zutreffend. Meuser erzeugt mit seiner ästhetischen Ökonomie, bei der Material, seine Bearbeitung und Bemalung, Titel und Positionierung im Raum in eine Art von Kontrakt treten müßen, eine offene und konkrete Bedeutung. "Erich mittendrin" ist eine Außtellung - die angesichts kunstferner Politdebatten, etwa bei der 7. Berlin-Biennale, oder einer Verflachung von Kunst durch Verwechslung mit Objektdesign - als wunderschönes Beispiel zeitgenößischer Kunstmöglichkeiten bezeichnet werden kann. Meusers neue Skulpturen sind darum - um es mit Robert Louis Stevenson und seinem Roman "Die Außchlachter" zu sagen - "große Talismane gegen Dummheit und Verrohung".

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