Berlin

"Meret Oppenheim - Retrospektive"


Martin-Gropius-Bau
16.8. - 1.12.2013

von Dr. Peter Funken


Nach Wien, Kunstforum Bank Austria, zeigt nun der Martin-Gropius-Bau in Berlin als zweite und letzte Station eine umfangreiche Retrospektive Meret Oppenheims aus Anlass ihres 100. Geburtstages.

Geboren wurde Oppenheim 1913 in Berlin-Charlottenburg, sie starb 1985 in Basel. Ihre Kindheit verbringt die Tochter des deutsch-jüdischen Arztes Alphons Oppenheim und der Schweizerin Eva Wenger in der Jura-Stadt Délemont und in Süddeutschland. Ihr Vorname geht zurück auf das unbezähmbare, mit magischen Kräften ausgestattete Meretlein aus Gottfried Kellers "Der grüne Heinrich" 〈1854⁄55〉. Später wird Max Ernst, mit dem Oppenheim 1934 eine leidenschaftliche Liebesbeziehung hatte, über sie dichten: "Wer ist uns über den Kopf gewachsen? Das Meretlein."
Oppenheim und ihre Geschwister wuchsen in einem aufgeklärt-emanzipierten Umfeld auf. Vorbild war ihr die Großmutter Lisa Wenger, die als eine der ersten Frauen an der Düsseldorfer Kunstakademie studierte und eine bekannte Kinderbuchautorin war. Sie hatte der jungen Frau ein unruhiges Leben durch "Himmel und Hölle" vorausgesagt. Seit 1928 protokolliert Meret Oppenheim ihre Träume, sie zeichnet und interessiert sich für Malerei, besonders für Paul Klee und die abstrakte Kunst. Zu Beginn der 1930er Jahre reist Oppenheim nach Paris, beschließt Malerin zu werden und lernt Alberto Giacometti und Hans Arp kennen, durch deren Vermittlung sie sich an den Ausstellungen der Surrealisten um André Breton beteiligte. 1933 entstanden Man Rays berühmte Aktfotografien "Érotique Voilée", die Meret Oppenheim an einer Druckerpresse zeigen. In der Gruppe der Surrealisten nimmt sie als Künstlerin eine Sonderrolle ein, doch ist sie viel mehr als nur die attraktive Muse. 1936 erfindet sie mit ihrem legendären Objekt "Déjeuner en fourrure" 〈"Frühstück im Pelz"〉 die Ikone der Bewegung. Zwar fehlt diese Inkunabel in der Ausstellung, dafür aber sind andere wichtige Objekte der Künstlerin anwesend, so etwa die "Pelzhandschuhe" 〈1936〉, die an den Schuhspitzen wie im Kuß verschmolzenen Stiefelletten "Das Paar" 〈1956〉 oder ihr "Eichhörnchen" von1969 - ein gefüllter Bierkrug mit buschig schwarzem Schweif.
Während die meisten Maler des Surrealismus sich nur sporadisch mit Objekten befassten, bearbeitete Meret Oppenheim dieses Feld ihr leben lang. In der Konfrontation von vermeintlich Fremdem - Tasse und Pelz, Bierseidel und Tierschwanz - entsteht mit der Zerstörung ursprünglicher Gebrauchsfunktionen zugunsten eines surrealen "fonctionnement symbolique" eine schockierende Brisanz, die etwas Unerlaubtes thematisiert, denn dem bürgerlich Normalen und Akzeptierten widerfahren Momente der Sexualisierung und Formen des Fetischs. Die poetische Qualität solcher Arbeiten entwickeln sich auch mit den Titeln, die hintergründig und doppeldeutig sind, - und so sollte man wissen, dass beim "Déjeuner en Fourrure" die Anspielung auf ein mondänes Gabelfrühstück zielt, mit Austern und Champagner, zu dem sich die Damen im Pelz einfinden.

Eine besondere Stärke der Ausstellung liegt in ihrer spannungsvollen, sinnreichen Einrichtung durch die Kuratorin Heike Eipeldauer, denn diese führt uns Meret Oppenheims Schaffen zwar entlang der chronologischen Entwicklung vor, erkundet ihr Werk aber immer wieder durch das Hinzufügen inhaltlich und thematisch verwandter Arbeiten aus anderen Schaffensperioden der Künstlerin.
Es entstehen somit Möglichkeiten zum Vergleichen und zu einer Art parallelen Sehens; damit stellt sich die Erkenntnis ein, dass trotz aller Heterogenität in Oppenheims Schaffen über Jahrzehnte hinweg, immer wieder grundlegende Themen ihrer Kunst - z.B. jenes der Wolken - behandelt werden, und dabei neue Gestaltung und Bedeutung annehmen. In solcher Verbindung und Gegenüberstellung wird erkennbar, wie die Künstlerin vorging, was sie bewegte, woher Einflüsse kamen, wie sich ihr Werk entwickelte.
Eipeldauers Ausstellungskonzept wird der Kompliziertheit und vordergründigen Diskontinuität des Werks gerecht, und so kann man in der Ausstellung den "Planet Oppenheim" neu begreifen, weil die Künstlerin keineswegs auf ihre bekannten, immer wieder reproduzierten Arbeiten reduziert wird, sondern die in der Tiefe liegenden Vorstellungen komplex bezeichnet werden.
Weltbekannt wurde Meret Oppenheim mit ihren surrealistischen Objekten, doch gab sie, wie sie sagte, "die Welle des Surrealismus" auf, sie wollte sich der Dogmatik Bretons und seiner Freunde nicht beugen. 1937 kehrte sie nach Basel zurück. Dort hatte sie in der Galerie Schulthess ihre erste Einzelausstellung. Sie lernte restaurieren, verdiente ihren Lebensunterhalt mit dem Entwurf von Mode, Schmuck und Accessoires und stand in Kontakt mit der antifaschistischen Künstlervereinigung Gruppe 33 - und sie fiel in eine tiefe künstlerische und persönliche Krise, die 17 Jahre anhalten sollte. Erst danach, 1954 bezog sie wieder ein Atelier, diesmal in Bern, und begann erneut künstlerisch zu arbeiten.
In diesen Jahren war sie Teil der Kunstszene um Daniel Spoerri und äußerte über die durchlebte Krise: "Ich wollte, aber ich konnte nicht ohne Zufriedenheit ..." 1967 findet Meret Oppenheims erste Retrospektive im Moderna Museet Stockholm statt, sie erhält den Kunstpreis der Stadt Basel, große internationale Ausstellungen folgen, 1982 die Einladung zur Teilnahme an der Documenta 7, auch erhält sie den Großen Preis der Stadt Berlin. In Bern wird 1983 ihre Brunnenskulptur "Spiralsäule" eingeweiht, der Surkamp Verlag publiziert ihre Gedichte - Meret Oppenheim ist wieder da, doch kaum zwei Jahre später stirbt die Künstlerin im Alter von 72 Jahren. "Es sind die Künstler, die träumen für die Gesellschaft", sagte Meret Oppenheim. Ihre Rolle als Künstlerin reflektierte sie messerscharf, doch im Sinne des Feminismus auch kritisch: "Kunst hat keine Geschlechtsmerkmale. Es gibt nur ein Eimaleins ... Große Kunst ist immer männlich-weiblich."

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