Karin Rosenberg.
"Zugvögel in der Dathe-Promenade".

von Peter Funken



Der Dathe-Platz und die Dathe-Promenade im Bezirk Friedrichsfelde liegen in unmittelbarer Nähe zum Eingangsbereich des Tierparks, dem größten Landschaftstiergarten Europas. Auf 160 qm wird der Besucher durch die Tierwelt der 6 Kontinente geführt. Der Tierpark ist das Lebenswerk von Professor Heinrich Dathe (1910 - 1991), der Zoologe baute den Tierpark seit 1954 auf und war 34 Jahre lang sein Direktor. Für Jahrzehnte hatte Dathe feste Sendetermine im Radio und TV. All dies machte ihn in der DDR sehr bekannt. Querelen um die drohende Schließung des Tierparks setzten dem 80jährigen nach der "Wende" gesundheitlich zu, er wurde zwangspensioniert, verlor seine Dienstwohnung und starb bald darauf.
2005, zum 50-jährigen Jubiläum des Tierparks ehrte man Heinrich Dathe für seine Verdienste - ein Gymnasium, Platz und Promenade am Tierpark wurden nach ihm benannt. Letztere liegen in einer großen Plattenbausiedlung, in der auch Prominente lebten, so Heiner Müller.

Unter dem Motto "Märkische Heimat" wurde dort Anfang der 1980er Jahre ein Kunstprogramm realisiert, Skulpturen und Brunnen aufgestellt. Den Brunnen auf dem Dathe-Platz schmückt ein Bronzerelief mit dem Fontane-Zitat "ERST DIE FREMDE LEHRT UNS WAS WIR AN DER HEIMAT BESITZEN". In dieser komplett gestalteten Umgebung hat die Künstlerin Karin Rosenberg ihr öffentliches Kunstwerk "Zugunruhe" installiert. Es besteht aus 27 zweiseitig bedruckten Schildern, die an allen vorhandenen Laternenmasten angebracht sind sowie einem Dathe-Pavillion inmitten der Promenade.

Auf der Vorderseite zeigt jedes Schild einen in Deutschland nistenden Zugvogel, etwa Feldlerche, Blässgans, Singdrossel, Nachtigall oder Weißstorch. Rückseitig befindet sich Sätze, die Informationen aus dem Bereich der Verhaltensforschung von Zugvögeln bieten. Die Bildseite hat Rosenberg in Anlehnung an das bekannte, blaue Schild für "Wasserschutzgebiet" gestaltet. Je nachdem in welcher Richtung man läuft entsteht ein unterschiedlicher visueller Eindruck - entweder man sieht die Vögel oder die Texte. Mit dem Blau der Schilder orientierte sich die Künstlerin am Farbkonzept der Siedlung, denn Ruhebänke, Papierkörbe etc. sind blau gestrichen.

Mit dem Dathe-Pavillon wollte die Künstlerin ein lebendiges Forum schaffen, hier kann man verweilen, die in den Schaufenstern ausgestellten Fotos, Bücher oder Objekte betrachten. Derzeit sind hier Bücher über Zugvögel und von Schülern geschaffene Vogelskulpturen auf Ästen ausgestellt, auch über Dathes Leben und Werk wird berichtet. Die Pavillon-Box hat die Maße 2,20 m Tiefe x 4,40 m Länge x 2,80 m Höhe. Von außen hat sie der Graffiti-Künstler EMESS mit Schablonen-Graffitis ("Stencils") besprayt. Diese zeigen nach Deutschland eingewanderte Tierarten, die mittlerweile quasi als heimisch angesehen werden - also den Waschbär, die Bisamratte, den Fasan oder eine eingewanderte Krabbenart. Auf ihren Körpern habe diese Tiere den EU-Einreisestempel in Pink aufgedruckt. Die Bespielung des Pavillons wird in den kommenden 5 Jahren organisatorisch vom Förderverein des Tierparks betreut und auch finanziert. Es sollen Wechselausstellung stattfinden, die über Dathe und den Tierpark informieren, Schulklassen können hier ausstellen, wahrscheinlich auch ansässige Künstler. Mit "Zugunruhe" hat Karin Rosenberg ein klar kalkuliertes Kunstwerk entwickelt, das von den Einwohnern der Großsiedlung in hohem Maße angenommen wird, bietet es doch mit Bezug auf den geschätzten Heinrich Dathe und den Tierpark zahlreiche Erinnerungs- und Bildungswerte. Zugleich reagiert die Arbeit in Form und Thematik subtil unterschwellig auf eine mittlerweile kaum noch unterschwellig vorgetragene Xenophobie innerhalb der Bevölkerung, denn sie zeigt am konkreten Beispiel des Vogelzugs, dass der Heimatbegriff, so wie er etwa im Fontane-Zitat am Brunnen erscheint, ein zutiefst nationalistischer und ideologischer ist, der hinterfragt und angesichts weltweiter Flucht und Migration revidiert gehört. Heimat - folgt man dem Philosophen Ernst Bloch oder dem Leben der Zugvögel - lässt sich prozessual denken, nämlich als Existenz in einem Multiversum, als Leben in zwei (Zugvögel) oder mehr Welten - und als Versuch etwas Gemeinschaftliches zu schaffen, das zur Heimat wird.

Bloch schrieb 1959 in "Prinzip Hoffnung": "Die vergesellschaftete Menschheit im Bund mit einer ihr vermittelten Natur ist der Umbau der Welt zur Heimat." Gegenüber einem national-rückwartsgewandten Heimatbegriff erscheint Blochs Begriff offen und utopisch. Die Welt ist selber noch nicht zuhause. Heimat, so Ernst Bloch, ist erst zu erreichen "ohne Entfremdung und in realer Demokratie". In "Erbschaft unserer Zeit", seinem 1935 im Exil erschienen Hauptwerk, macht er plausibel, dass eine Gesellschaft, die das Spannungsverhältnis zwischen Heimat und Fremde mittels eindeutiger Bestimmung zu einer Seite hin aufzulösen versucht, den Geschichtsprozess leugnet. Da die Wirklichkeit ihren Vorstellungen nicht entspricht, tendiert eine solche Gesellschaft dazu, an falschen Heilsversprechungen festzuhalten, was sich in einem gegenüber der realen gesellschaftlichen Entwicklung rückwärtsgewandten Bewusstseinszustand kenntlich macht. Galt dies für die DDR und ihrem antiquierten Heimatbegriff, so scheint man auch noch heute mit dem Begriff Schwierigkeiten zu haben.

Karin Rosenberg beabsichtigte neben den Vogel-Schildern und dem Dathe-Pavillon ein drittes Element zu implementieren - ein Textband im Boden des Dathe-Platzes, gegenüber vom Fontane-Brunnen. Hier sollten aus der Bloch-Sentenz die folgenden Worte in Versalien stehen: VOM UMBAU DER WELT ZUR HEIMAT. Mit solch anregendem Denkanstoss wollten sich die Bezirksverordneten jedoch nicht anfreunden und untersagten die Realisierung des Textbandes - vorerst! Es bleibt also Hoffnung, denn man will noch einmal darüber diskutieren.

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