Der 1955 in der Türkei geborene Yilmaz kam kurz vor Abschluß seines Kunststudiums an der
Fachhochschule (FH) Köln mit dem Autonomen Kulturzentrum Stollwerck in Berührung.
Zusammen mit anderen Kunststudenten erhielt er im Sommer 1982 die alte Mandelbrennerei der
Stollwerck-Fabrik, einen völlig ausgekachelten Saal mit Glas-Sheddächern, von der Stadt als
Atelier zugesprochen. Anfangs hielten sich die Künstler von den hektischen und z.T. aggresiv
aufgeladenen Aktivitäten des Zentrums fern. Vor allem durch den Besuch der Musikveranstaltungen
ergab sich dann im Laufe der Zeit ein engerer Kontakt. Als Anfang 1983 ein Teil der "Macher" des
Zentrums ausstieg und die Situation sich neu strukturierte, ergriffen die Künstler die Gelegenheit, die
weiten Räumlichkeiten des Zentrums für sich zu nutzen. Die Ausstellung "Profil" im April 1983 war
ein erstes konkretes Ergebnis. Ein reger Austausch mit den Musikern gipfelte schließlich im
Gesamtprogramm von "DAVUL-Deformance" im November 1984.
Natürlich traf die Erfahrung der "Situation Stollwerck" als Metapher einer kulturellen Krise im Fall Yilmaz auf eine Sensibilität, die für derartige Fragen hoch entwickelt ist. Er setzt sich ihnen aus, ohne sie zum Thema seiner Arbeit zu machen: "Für mich bedeutet jede Kultur, in der ich mich gerade befinde, einen Gewinn durch Auseinandersetzung. Ich kann alle Erfahrungen und Erinnerungen an andere Kulturen zusammenbringen. Es ist für mich nicht möglich, dies auseinanderzuhalten". Seine Empfindsamkeit gegenüber den Randbereichen kultureller Identität konnte daher den (rechts-)freien Raum im "Stollwerck" zum eigenen Vorteil nutzen.
Daß in dieser Auseinandersetzung der Raum zum zentralen Thema der Kunst wird, leuchtet ein. Dieser war jedoch schon in den Bildern vorhanden, die Yilmaz nach der Meisterprüfung in der Ausstellung "Profil" zeigte. Neben Zitaten von Meistern der
klassischen Moderne zeigt ein Bild wie "Footballspieler" vom Februar 1983 bereits die Vielschichtigkeit der Interessen des Künstlers. Die heftige Körperbewegung ist hier nicht expressive Unmittelbarkeit. Farbauftrag und Farbintensität erweisen sich als Erbe islamischer Kultur und werden hier eingesetzt als Mittel der Disziplinierung des Bildthemas: die Konstellation von Körpern
im Raum und dessen dadurch bedingte Erfahrung. Wenn außerdem unten links im Bild ein Spieler ganz flächig erscheint, so hat sich Yilmaz eines Stilmittels abendländischer Malerei bedient, des Repoussoirs, durch das der Bildraum seine Intensität noch einmal erhöht, wobei der menschliche Körper zum Koordinatensystem für den Raum wird: 'Alle Räume sind gestaltet, solange der Mensch sich darin befindet", sagt Yilmaz noch 1987. Der Raum, den Yilmaz malerisch thematisiert, ist also ein Handlungsraum. Dieser konstituiert sich erst im Zusammenspiel zwischen architektonischen Gegebenheiten und subjektiver Wahrnehmung, die an Handlungen (Bewegungen) des Wahrnehmenden selbst oder anderer gebunden ist: ein dynamischer Raumbegriff. Folgerichtig wendet sich Yilmaz weitgehend von der Leinwandmalerei ab und entwickelt Konzepte zur Gestaltung realer Räume.
Er besitzt aber nicht den freien Raum, er lernt von ihm, weil er sich ihm
nicht ausschließlich hingibt. Vielmehr bezieht er ihn immer auch auf das weitere Umfeld.
So entsteht das Konzept zu "DAVUL-Deformance" als eine Interpretation der vorgefundenen
Ausnahmesituation, die zugleich Bezug nimmt auf die umgebende Weit, das Außen: auf den Alltag
und die Kunst. Der einzige Teil der alten Fabrikgebäude, der zur Umnutzung vorgesehen ist der
"Annoriegel", wird zum Ort der freien Entfaltung; jedoch bereits die wenigen Elemente in den 200
Meter langen Hallen, die noch auf die frühere Fabrikation verweisen, sind Begrenzenzung und
Inspiration zugleich. Sie freizufegen ist bereits eine Rückkehr zur Konkretion, denn darüber lagern
die Zerstörungen aus der Zeit der Besetzung der Fabrik, ergänzt von den vielen Hinweisen auf die
"wilde" Existenz jener Wochen, die von Wut, Depression und Träumen von anderen Lebensformen
geprägt war. Yilmaz greift behutsam ein, setzt gegen die weite Flucht der Hallen einerseits
strukturierende Akzente durch Anhäufungen von Röhren etwa, auch durch Farbzeichen, die die
räumliche Wahrnehmung irritieren; andererseits vollzieht er durch sparsame Eingriffe an
vorgefundenen Spuren der zeitweiligen Neunutzung die Träume herrschaftsfreier Existenz nach, von
denen diese zeugen.
Die komplexe Metapher auf den "geistigen" Raum der "Situation Stollwerck", die den Besucher in
einen niedrigen Laufgang zwang und ihn erst nach Durchquerung des Ausstellungsraumes in diesen
entließ, ihn dort mit einer Vielzahl möglicher Auswege konfrontierte, die alle vor der Wand endeten,
bevor der einzige Ausgang an den "Schmerzenssäulen" von Yilmaz vorbeiführt - diese Metapher
wird zugleich zur Bühne für Rahmenveranstaltungen: Tanz, Musik, Lesungen, Performances. Der
inszenierte Raum als Ort der Initiation, überkrönt von einer Kuppel, Tempelarchitektur zitierend.
Die Dimension des Magischen, die jeder "primitiven", weil jungen Kultur eignet, sie wurde hier
bildhaft total in Szene gesetzt. Kein Abkapseln ist hier erfolgt, sondern ein Kommentar über die
Magie eines den Gesetzen der umgebenden Gesellschaft weitergehend entzogenen Raumes, dessen
Regeln noch nicht ausdifferenziert wurden. Wohl wissend um die Unmöglichkeit des
Gesamtkunstwerks gelang Yilmaz mit dieser Veranstaltungsform dennoch eine Annäherung auf
symbolischer Ebene, die er in den kommenden Jahren mit Großprojekten wie der
"Stollwerckumenta" Ende 1986 und drei Jahre später mit der Ausstellung "200 minus 1" fortführte.
Dabei spielte die Begegnung mit Ingo Kümmel eine wichtige Rolle, gegen dessen ausschweifend
spielerische Art Yilmaz seinen Willen zur Ordnung, zur Strenge in Auswahl und Konzeption
herausgefordert sah und entsprechend einsetzte. Die Arbeit "Raum" von 1986 verdeutlicht den
Einfluß, den die Erfahrung der "Situation Stollwerck" auf Yilmaz hatte: In einem Gestell aus
schmalen Eisenstangen hängt als hinterer Abschluß ein Gemälde, das in dunkel gehaltenen Farben
den Eindruck eines Raumes vermittelt, der sich mit Sphären und architektonischen Elementen dem
Blick erschließt. Der Raum ist nicht illusionistisch, vielmehr ist er fragmentiert durch einzelne
Bauelemente. Der Stahlrahmen dagegen schafft einen Bühnenraum, der auch die auf dem Boden
liegende menschliche Figur (sie ist aus Holzstücken zusammengesetzt und in den gleichen Farben
wie das Bild gefaßt) umschließt. Die Skulptur zeigt keine Bewegung an, der Körper liegt leblos auf
dem Boden. Dagegen erzeugt der Raum im Gemälde den Eindruck von Bewegung, da seine
Konstruktion den "Rahmen"-Bedingungen widerspricht. "In der letzten Zeit arbeite ich mit
Scheinthemen, d.h., die ästhetischen Ansprüche an uns, an Ideale, an Lebensformen und Wünsche
erscheinen nur als Schein. Sie wandeln sich immer". Es ist dieser grundsätzliche Kontextbezug, den
Yilmaz in seinen einzelnen Arbeiten wie auch in den Ausstellungen herstellt. Dabei überwiegt in den
raumgreifenden Installationen stärker der Drang zur objektivierenden Argumentation, während in
der einzelnen Arbeit der subjektive Ausdruckswille stärker zum Tragen kommt. So griff Yilmaz für
seine Ausstellung im Mannheimer Kunstverein Ende 1988 noch einmal auf das Thema Tempel
zurück: "Musentempel" nannte er die den ganzen Ausstellungspaviilon besetzende Installation,
inszenierte darin jedoch nicht einen herkömmlichen Sakralraum, sondern nutzte die derart
geschaffene Architektur eigener Bestimmung zur argumentativen Anordnung von Skulpturen zum
Thema der Musen. Gerade in diesen Inszenierungen kommt eine erstaunliche Fähigkeit von Yilmaz
zum Tragen, in einem zielsicheren Zugriff auf den Allegorienkanon abendländischer Kunst
zurückzugreifen und ihn in geschickter Weise zu aktualisieren. Mit dem Musentempel bewegte sich
Yilmaz in einem nur schwer entschlüsselbaren Bereich zwischen Gotteshaus und Archiv - ein
Kommentar zur aktuellen Situation der Institution Museum. In der für Yilmaz typischen Art der
Verdeutlichung von Ordnungen durch ihre partielle Verkehrung werden seit 1987 die fotografischen
Arbeiten stärker als die Malerei und die Skulpturen zum Ort subjektiven Ausdrucks. Begonnen
hatte Yilmaz noch im Stollwerck, mit Fotografien, die seinen "Handlungsraum", wie er in der Arbeit
"Raum" von 1986 aufscheint, verdeutlichen. Die seit drei Jahren entstehenden Sandwichfotos
versuchen ebenfalls, diesen Raum im transparenten Bild zu schaffen: Die individuellen Ordnungen
zweier Aufnahmen werden übereinandergelegt, kollidieren und erzeugen so ein neues Bild, dessen
subjektiver Ausdruck allein noch im Auswahlakt des Künstlers verankert ist. Der Raum in diesen
Arbeiten ist kein erlebter mehr - er ist virtuell. Die jüngsten Fotoarbeiten von Yilmaz sind daher
Wunschbilder und damit wieder mehr Malerei als seine Gemälde der letzten Jahre. Deshalb können
sie sowohl als Leuchtkästen wie auch als Fotoleinwände präsentiert werden.
Friedemann Malsch, Köln