HIMMEL UND HÖLLE SIND IM STOLLWERCK LOS

Zur Architektur DAVUL-Deformance




Stellt man sich die Frage, wie denn die Reste der Produktionsstätte Stollwerck in diesem Kunsttempel-Environment zur Geltung noch kommen, dann scheinen sie als vage Erinnerung auf, überlagert vom Besitzergreifen des scheinbar "Herrenlosen". Wie die Älteren einst sich spielend Trümmergrundstecke angeeignet, erfahren die Jüngeren gleich Destruktives und Konstruktives in diesem Kunstspiel. Im herrenlosen Haus, dessen Eigner anonyme Institution nur ist, verschafft sich dieser gewaltsam durch Abbruch oder Mauer Präsenz. Diese wird notwendig nur als Negative erfahren: Verhinderung und Verbot sind seine Werkzeuge. Entgegen steht dem die immer wieder neue Phantasie-Arbeit der Habenichtse, die mit ihrer Energieleistung als letztlich Fremde eine Wüste okkupieren, Nachts, haben sie gemein mit den Arbeitern, die vormals der Fabrik ihr eigenliches Leben gaben, außer daß sie - jenen gleich - jederzeit vertrieben werden önnen. Wenn ein Maler und Bildhauer wie Adem Yilmaz ein Haus herrichtet für eine Menge Gäste, dann konnte er für DAVUL-DEFORMANCE eigentlich dem Innenraum der Maschinenhalle nur eine erneute Umnutzung auferlegen im Anschluß an voraufgehende Großveranstaltungen an diesem Ort.

Erlebte der Besucher von Performance und Theater, Rockmusik und Lesungen Podium oder Guckkastenbühne, dann greift die diesmalige Gestaltung in anderer Form das verbliebene Architekturensemble an. Der Großteil der Produktionsanlagen der ehemaligen Fabrik ist bereits abgerissen. EinTrakt der Raster- Skelette-Architektur der 50er Jahre steht noch verschlossen zwischen Neubauten am Rhein und den alten am westlichen Ende des Komplexes. Kleinteilig bilden Hallen, Büros, Versammlungsraum, Lagerräume einen Riegel entlang der Annostraße. Zurichtungsarchitektur der Fabrik, mit der älteste Teil des Komplexes überhaupt. Unansehnlich von der Straße her, grauer Rauhputz zu den Innenhöfen hin, nicht minder triste im Erscheinungsbild.

Was Museen der neuesten Zeit und Einkaufszentren mit ihren ungegliederten Plattenflächen nach Außen verbergen von ihrem Inneren, bleibt Verpackung, die keinen Hinweis giebt aufs Verpackte, demonstrieren sich selber einzig als Verpackung. Hier wird, jeder Anspielung auf die Pralienenschachtel abhold, das Äußere zu einer ambivalenten Moschee-Grabmalsarchitektur umfunktioniert: die Halbkugel-Kuppel über dem Quadrat. Aus Styropor vor die Eingangsseite der Maschinenhalle und den davorliegenden Büroräumen gehängt, läßt dem Besucher dieses Portal notwendig monumental erscheinen. Verborgen wird, was dort einst war. Hergestellt wird Malgrund- und Aktionsfläche für Ben Vautier und AI Hansons stürzende Klaviere.

Phantastische Architektur nennt man das Disfunktionale, das Anhäufen von scheinbar Nutzbarem zu keinem einfachen Zweck. Die weglosen Stege und Leitern der Maschinenhalle geraten zu Teilen der phantastischen Einbauten, ohne indes, im Verein mit diesen, Bühnenbild zu werden. Die Auftretenden der Aktionen müssen sich der verbliebenen Flächen um die Skulpturen auf allen Ebenen bedienen.

Die Besucher werden durch Lattenspaliere, von außen herkommend, durch die Halle geschoben bis an das gegenüberliegende Ende. Dort erst wird ihnen der eingeschränkte Blick genommen und frei in Gegenrichtung öffnet sich ihnen der ganze Raum. Dies architektur-kompositorische Element ersannen der Architekt von Palestrina und Pranesi in ganz anders gewaltigen Dimensionen. Es hat sich für Ausstellungsarchitektur als denkbar geeignet erwiesen. Seiner bediente sich z.B. Hollein in Mönchen-Gladbach. wenn auch nur dezent, aber zur Verblüffung perfekt. Labyrinthisches als Kosmosmodell hat Tradition. Den Beschauer in die Perspektive des Zirkustigers zu zwingen, weitaus weniger. Der physische Wechsel von urfreiwilliger Enge und Nähe zur Offenheit der Halle gewinnt seine semantisch-ästhetische Spiegelung in der Skulptur: Kanzelobiekt. Wer bis dort obenhin vordringt, mag sich zwar des Gewinns an Überblick innewerden, kann dort aber auch des Verlustes von Nähe gedenken. Von dort auch kann er der hängenden Menschenkette angesichtig werden, die kopfüber von oben herab die lebendige Verteilung in der Vertikalen unten zu spiegeln anzeigt, wo Gedränge und Beieinander den Schaulustigen ihre Identität aus handelnd-sprachträchtigem Zusammenhang fast vergessen lassen mag. Es ist die nachgerade intellektuelle Spielerei mit Fabrikhallen als alternativem Kulturort, die durch sich zu dieser Spiegelung hintreibt: das nutzlos Gewordene im oppositionellen Gestus gar häuslich auszugestalten, sich einzurichten, was dem öffentlichen Bewußtsein allenfalls dem Abbruch übereingnet zu werden verdient.

Längst ist das große Geschäft der immbilen Hinterhoffabriken auch von den kapitalenGalerien übernommen. Der Wohnwert derartiger Luxusplätze (mit altem Baumbestand) bleibt lärmabgeschirmt durch straßenwärtige Normalwohnungen. Großräumig, Iichtreich durch Fenster himmelwärts, tauschen sie den kostbaren Panoramablick gegen die intime Fülle des großzügigen Innenraumes. Seinen auch modischen Reiz bedingte die Abgeschirmtheit und ließ die längst überfällige Einsicht wachsen, daß der Blick aus dem Fenster auf die eigene Straße in Metropolis nur noch dem Schein nach gepflegt wird. Wenn Architekten der althergekommenen Fassade illusionär sich bedienen, wissen sie sehr wohl, daß innerstädtisch unterhalb des Penthauses der Blick hinaus nur beziehungslos-diffses Vorbeiziehen offenbart. Das, was im Dorf einst vor und am Fenster sich zu tun anbot - auch an Rituellem -, hat hier längst eine gesellschaftliche Organisation andernorts erfahren. So geht in der Tat das Museum mit Kunst um, die Ausstellungsmacher und Galeristen sind auf gleichem Wege: die Umwelt ist kein Platz (und hat keine Luft) für Kunst. Die nach innen orientierte Galarie ist angezeigt!

Zwischen den Kompressoren der Maschinenhalle liegt der Wohnteil Hingstmartins, die Schwungräder und losen Treibriemen rahmen das Sofa mit dem obligaten Ouerrechteck des zugehörigen Bildes darüber. An der Wand, einen schmalen Gang entlang, das Büro. Umnutzung auch hier mit sanften Eingriffen, um die Gewalt des Abrisses zu konterkarieren, dort, wo gänzliches Gegenteil, der klassische Ort der Entfremdung in der Arbeitswelt, ausgemacht war. Die nachhaltige Tilgung solcher Spuren macht vorerst nur noch halt, wo besseres, höhergewertetes einst seinen produktiven Sitz hatte: Im sparsamen Luxus der großen Räumlichkeiten, verfallen schon im Inneren, die üppige Maschinerie abhold jeglicher Heimeligkeit. Die hier sich einnisten und durch Kunst alternatives Denken und Handeln demonstrieren, wecken das Trauma anarchischer Unfaßbarkeit und provozieren einmal mehr eine ganz andere Spurensuche: die zum hinreichenden Verdacht des kriminellen Ereignisses. Ausgesetzt bleiben alle Nachfolgenden Verbot und Vertreibung. Daß Yilmaz ausgerechnet der Assoziation des Kunsttempels sich bediente - wenn auch in orientalisch-klassizistischer Verfremdung - den aufgesprühten Bilderteppich (Winterfeld, Krips) eingeschlossen - wirkt nicht nur ironisch gegenüber dem anstehenden Abbruch des gleich benachbarten Maschinentraktes, der bislang Hingstmartin als bizarres Atelier diente. Auch dies ein mühseliger Akt gegen die Enge in der ansonsten Iichten, weiten Halle. Längst ist das nachgerade harmlose Wort von der Schnellebigkeit unserer Zeit der brutalen Einsicht gewichen, daß die Erfahrungen des Lebens bis heute zur Bewältigung der eben schon heute anstehenden Probleme nichts nutzen.
Enthoben sind Künstler auch mit ihrer Kunst diesem Zwang keineswegs, und dies nicht nur ihres Kommerzes wegen. Schwitters rekonstruiertes museumsreifes Wohnungs-Atelier des Merzbaues (höchst fragwürdtg unter die "Gesamtkunstwerke" gelegentlich gezählt) hat wohl jeder Künstler einmal zu imitieren unternommen Der Erfolg scheint nicht nur fragwürdig, sondern eher fatal: es bleibt die Erfahrung, daß das ständige Eindringen - der andererseits erwünscht notwendigen -Öffentlichkeit in die Privatsphäre zu einer unerträglichen Qaul sich auswuchs. Auch dies die Offenlegung eines gesellschaftlichen Widerspruchs? Bleibt bislang nur noch die hoffnungsbeladene Einsicht nach dem Wunsch der Einheit von Leben und Arbeiten als schöpferische Alternative, wenn sich nicht auch dies als eine dereinst unnachvollziehbare Ideologe herausstellen könnte. Wie wenn sich auch die künstlerische Arbeit als entfremdeter Prozeß nur ausweisen ließe? Das dichte Gedränge wohlgeordneter, wohlgestalteter Maschinen, das sich in ölgeschwängerter Luft Hingstmartin in seinem Refugium jetzt erst angenommen hat, setzt in seiner Beengung einen anderen Topos labyrinthischer Architektur in Szene: den der Eremitage, der Grotte, des fenster(licht)-losen Unterweltlichen, setzt damit auch den Künstler in die Kette der Demiurgen. dessen aktuelles Instrumentarium Neonlicht und Elektronik anknüpft an die Zwielichtigkeit aller Maschinerien in Fabeln und nicht minder der ihrer Herren. Die von ihm benutzte Bilderwelt spielt auf diesen Topos an; der aus Blechschränken tosende Krach der do-it- yourself-Welt trägt ein Übriges dazu bei, das theatrum mundi des Gesamten hier im Einzelnen hinreichend auszuspielen.

Der Konstruktivismus der Hallenarchitektur wird unterlaufen durch die abgeschnittenen Treppen und Stege, die sich nur gelegentlich als benutzbar erweisern. Der farbige Grund der Bilderteppiche irritiert auch ohnedies die Perspektive. Die Lichtregie sollte ihr übrges bewirken, wenn erst einmal die Akteure an ständig wechselndem Ort ihre Aktionskaskaden zwischen den Besuchern anlaufen lassen. Doch die Störung des Betriebs ist Teil des Spiels. Metropolis und Postmoderne liegen soweit nicht auseinander, wie sich nicht zuletzt in den beiden die Asymmetrie in Kauf nehmenden Stahltrommeln zu Seiten des eng abgeschirmten Eingangstunnels dartut. Podeste zugleich sind diese Säulen von ungetümer Proportion, dem Filegran der Gegenseite konfrontiert. Aber, wie gesagt, ihrer wird der Besucher erst ansichtig, wenn er den Raum von der Gegenseite erstmalig frei überblicken kann. Dem Grotten-Unterweltlichen auf der einen steht in dem Barraum der von den Sprühbildern überquellende, ansonsten kahle Raum auf der anderen Seite gegenüber.
Funktionaler Ausstellungsraum wie gewohnt, Ietztlich unbewohnbar, clean und buntes Ausstellungsensemble, ein "Gesamtkunstwerk" ironisierendes Sprühprodukt, das sich ringsum breit gemacht hat, gegen das völlige Abräumen auch jeder bisherigen Spur, die es hier auch in den Köpfen immer wieder zu legen gilt Der süßliche Geruch der Nougatmischtrommeln ist längst gewichen. Den Ort der Arbeiterwohnungen aus dunklem Backstein, in deren Hinterhöfen einst Hausgemeinschaften einen lauten Karneval gefeiert hatten, decken Parkflächen vor Neubauten. Militant ist Kunst auch hier, wo sie sich des Ortes annimmt, geduldet nur dank repressiver Toleranz. Ein Kompromiß auf Zeit der status-quo, dem die launige Zynik der Sprüherbilder zum ungewollten, ach so klassischen Schema von 3 Orten in dieser Installation ihren unbedachten Tribut zollen: links die Unterwelt, rechts das trotzig bunte, gar nicht so liebliche Aakadien und dann -es scheint fatal- der Olymp inmitten. Mag der Besucher sich in diesem Kunsttempel durch den engen Schlauch bis in alle Winkel durchgezwängt haben: Erleben wird er auch diese Perspektive -- und dann sehen, wie er wieder von dannen kommt.
Vorbei muß er an den Säulen des Herkules, die bekanntlich schon im Altertum den Weg in die Wagnis unbekannter Welt bezeichneten.

Peter Gerlach, Köln


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