Adem Yilmaz: „Heimat"Eine Ausstellung in Spitäle, Würzburg 1994 Kann Kunst noch Wahrheit vermitteln, ohne zugleich ebenso destruktive Konsequenzen zu haben, wie alle übrigen Versuche des Menschen mit der Natur umzuspringen, sie zu bändigen und sich dienlich zu machen? Längst wissen wir und erfahren es täglich, das diese ganze auf Empirie gegründete Suche nach Wahrheit über die Wirklichkeit immer nur dazu dient, bisher für glaubwürdig gehaltene Wahrheiten als höchst mangelhafte Bilder der Vorstellungen von einer außer uns liegenden Wirklichkeit zu denunzieren. Kunst ist in diesem Denken wirklich nur der Bereich, wo es immer schon nur um den schönen Schein, die Illusion und das Ideelle ging. Dort ist eben alles nur Bearbeitung von Fiktion, nur elaborierte Handhabung von Simulationen von jeher schon gewesen. Gemessen an den Einsichten der strengsten Wissenschaften und den Geschichten ihrer großen Entdeckungen, muß dort eigentlich ebenso von Phantasie und Inspiration gesprochen werden, wie es selbstverständlich zum Begriffsrepertoire der Künste zählt. Das Geheimnis der Kunst, ihre immer wieder überraschende und faszinierende Wirkung besteht doch gerade darin, daß sie im Spiel mit der sinnlichen Erfahrung an ihren Materialien uns - mehr oder weniger gelungen - davon überzeugt, daß wir uns ihre Produkte sinnlich unmittelbar, ohne merklichen Aufwand an Kenntnissen, speziellem Wissen usw., aneignen könnten. Der Schein des Mühelosen ist ihr selbstverständlich. Dabei werden in der Kunst Materialien genutzt, die an sich nicht sonderlich sinnlich erfahrbarer sind, als die Materialien anderer Bemühungen der Menschen, etwas an Wahrheit über diese Welt in Erfahrung zu bringen. Weil aber in diesem Spiel diese sinnliche Erfahrung, der Schein sinnlicher Unmittelbarkeit nun aber keineswegs das Primäre, sondern ein mühsam errungenes Letztes ist, das uns erst nach einiger Bemühung im Umgang mit Kunst als Effekt selbstverständlich dünkt, glauben wir schließlich sie uns als sinnlich unmittelbare aneignen zu können. Dieser unausrottbare Anspruch auf sinnliche Unmittelbarkeit, der von Künstlern ebenso vehement vorgetragen, wie er von Liebhabern und Kennern als Kern ihres Bekenntnisses verteidigt wird, trägt Züge von - nunmehr - emotionaler Unmittelbarkeit, die kaum dem offenen Diskurs zugänglich bleibt. Dieser überzeugte Glaube und die ängstliche Verteidigung seiner Stimmigkeit rührt wohl gerade daher, daß die Effekte der Kunst weniger auf eine externe Wirklichkeit um uns herum verweisen. Sie verweisen vielmehr auf den je Betroffenen selber. Kunst ist also nicht nur Ausdruck der Subjektivität des Künstlers, sondern im gleichen Maße der Subjektivität des Betrachters. Adem Yilmaz' Arbeiten setzen voraus, daß es eine externe Realität gibt, die in uns Empfindungen erzeugt und erzeugt hat. Dabei kann er keinen Unterschied gelten lassen zwischen solchen Erfahrungen, die von einem Erlebnis herrühren, das aus den puren materiellen Qualitäten an Dingen (z.B. das Korn, das Kupfer, das Licht) entspringen und solchen, die aus dem gedeuteten Umgang mit derartigen Dingen Eingang in die Erlebniswelt gefunden haben (z.B. die Fotos, dann natürlich die Malerei). Geschichte, Mythologie und soziale Welt der Zeit seiner Kindheit verbinden sich für ihn mit der europäischen Kulturgeschichte, die er in Kleinasien ebenso als Teil des ländlich agrarischen Alltags vorfanden. Diese begegneten ihm als disparater Inhalt von Vorstellungen und Phantasien an seinem jetzigen Arbeitsort ( Deutschland - Rheinland - Köln) wieder. Beide Quellen seiner Inspiration (Erinnerung und neugierige Beobachtung) stellen sich als fiktive heraus, immer wieder. Sie bleiben ein unordentliches Gemenge von unzusammenhängenden Elementen. Auf sie projiziert er eine Bedeutung. So ist und bleibt er ein Gefangener der ihn ständig begleitenden Erfahrung von Deutungsfragmenten. Sie lassen ihn kaum zu sich selbst kommen. Sie weisen immer weiter von ihm selbst fort. Er versucht eine Stellung innerhalb eines Regelkreises von Forderungen nach Kunst zu beziehen. Das treibt ihn von einer Ausstellung zur nächsten. In diesen Ausstellungen konstruiert er auf der Suche nach der ästhetischen Dimension seiner Subjektivität eine phantastische Welt. In diese Welt schleppt er alles hinein, was ihm als Autor erst zur stetigen Bestätigung verhilft. Von "Davul-Deformance" über "Hang zum Pathos", "200Minus1" und "Musentempel" bleiben die Elemente bis zur heutigen Ausstellung "Heimat" gleichartig. Große Räume füllt er mit Zwangswegen, die zu Sprüngen in völlig disparate Assoziationsbereiche nötigen können. Der Kubus des Raumes ist durch ein simples Achsenkreuz in vier Bereiche geteilt: vier "Zeiten", vier "Orte", vier "Gegenden", vier "Zustände" (agrarisch: die Installation in der Apsis bis technoid: die Bodenskulptur beim Eingang). Selbst noch seine illusionierten unterschiedlichen Aggregatzuständen simulieren elementare Kräfte, wie "Bewegung", "Wärme", "Leben". Mit ihnen wird die Fiktion eines überschaubaren, geschlossenen Bildes von Realität suggeriert, das Allem zugrunde läge. Das platonische Höhlengleichnis darf mit gleichem Recht aus den Elementen konstruiert werden, wie die Legende von den Metamorphosen, die zum naturwissenschaftlichen Begriffsrepertoire ebenso selbstverständlich gehört, wie zum Vokabular der fabulierenden Sprach-Kunst. Und schließlich fabuliert der Plastiker Yilmaz mit seinen schwebenden Skulpturen im Innenraum. Sie schweben ihren Matisse'schen Reigen tanzend über dem Mittelpunkt im Mittelpunkt zwischen den Bildern vom "Vitalen" und dem "Konstruierten". Wenn an Kunst der Anspruch gestellt wird als der Ort authentischer Erfahrung zu gelten, wird hier nicht mit dem Pathos der Abgründigkeit experimentiert. Hier wird ganz offenkundig über einen Selbstausdruck fabuliert. Darauf kann man sich einlassen. Yilmaz inszeniert ein Bühnenbild, auf dem die Betrachter als Mitwirkende agieren müssen. Er entführt sie in eine Mischung aus Freizeitpark und Erlebnisraum. Und nur er garantiert für die auratischen Werte seiner Produktion. Seine Kunst ist nicht anstößig. Sie ist vielfach gebunden an die Kunstproduktion der Gegenwart. Sein Werk ist ein Schnitt durch die endliche Menge des jetzt Möglichen. Dabei ist sie ausgegrenzt von der Welt draußen, aber durch den Museumsbau, den er benutzt, um so fester in ihr verankert. Diese Art von Rauminstallation hat programmatischen Charakter. Sie ist ebensowenig sinnlich unmittelbar zu erfahren, wie jede andere Erscheinungsweise von Realität. Sind die Zitatenkollagen der hier versammelten Bilder näher an dem Werk von Yilmaz als meine eigenen Überlegungen, die ihr Entstehen dem Gespräch mit dem Künstler verdanken? Ich sehe seine Arbeit zugleich im Umfeld von Mario Merz und Sigmar Polke, im anatolischen Landleben ebenso verankert, wie in der internationalen und der Kölner Kunstszene. Keines von allem ist ganz da. Von allem ist ein Weniges erborgt: Keines der einzelnen Werk-Teile ist heere Instanz der authentischen Inspiration, vielmehr ein mühseliges Ringen um Konsistenz. Das Ringen um den Zusammenhalt eines Ganzen tut sich dann doch immer wieder als eine Reihung der Fragmente von Kunst-Zitaten auf. Die Zufälligkeit ihrer Auswahl hat letztlich nur eine Rechtfertigung: sie ist die des Künstlers, der uns seine Geschichte erzählt. Am Anfang stand vielleicht nur der Zufall, der bei der Auswahl der Bestandteile bestimmend gewesen ist. Die Illusion des Ensembles überzeugt ob ihrer Perfektion. Und wo diese nicht reicht, lassen wir uns gerne auf diese Illusion ein und verkürzen den rohen Bruch der Fragmente zur lebendigen Bewegtheit seiner Skulpturen. Erst dann wird die expressive Qualität ihrer Suggestionen, der vom Künstler gewollte Ausdruck für uns sinnfällig und damit sinnlich evident. Yilmaz selber lebt in der Fremde. Sich in dieser aus seiner Perspektive exotischen Kultur zurechtzufinden, gleich fast schon der Leistung eines normalen Arbeitsalltags. Dazu kommt die Arbeitsleistung seines Berufes - als Künstler - noch hinzu. Abgeschlossen wird dieses Zurechtfinden-Müssen gar nie sein. Dabei ist er aber keineswegs ein "türkischer" Künstler. Yilmaz Werk mutet mit seinen Arbeiten jedem Besucher diese Bemühungen zu. Die Fragmente von "Heimat" müssen wir selber an uns zulassen, nicht aber um "Wahrheiten" über die Welt spontan zu erkennen, sondern allenfalls um uns unserer Illusionsfähigkeit inne zu werden. Damit können Erinnerungen hervorgerufen werden, die uns zu sehr unterschiedlichen Stadien unseres bisherigen Lebens zurückführen. Damit aber erfahren wir uns nicht als dauerhafte, konsistente Individuen, sondern gelegentlich als an uns selber Fremde, die zu Zeiten Personen waren von denen wir uns inzwischen selber weit entfernt haben. Dieses Fremde hervorzurufen und auf der Begegnung mit diesem Fremden zu insistieren das unterscheidet Kunst heute ganz zentral von allen übrigen Bereichen unseres alltäglichen Lebens, die uns ungestörten Genuss unseres derzeitigen Selbstverständnisses verheißen. Und befremdliche Erinnerungen sind schnell als nachgerade anstößige diffamiert. Aber - das gilt in Sonderheit auch für diese Ausstellung - das Ihnen, meine Damen und Herren, Naheliegende ist immer erst einmal das Richtige, die richtige Spur. Trauen Sie sich die Ausstellung zu. Peter Gerlach » corresponding Gallery |