Zeitkritik und Bildsatire

in den ´Bild-Zeitungen´ Brigitte Burgmers

von Georg F. Schwarzbauer

Nichts Schlimmeres kann man sich vorstellen als eine Zeitung von gestern, formulierte sinngemäß Marshall McLuhan, der amerikanische Medienpapst der 60iger Jahre. Er kannte nicht die Zeitungsübermalungen und Collagen von Brigitte Burgmer. Hätte er diese gekannt, so hätte er diese für die Mediengeschichte so bedeutsame These nur bedingt aufstellen können. Denn in der Serie ´Bild-Zeitungen´ von Brigitte Burgmer kommt all das zum tragen, was sonst in Zeitungen verborgen bleibt, was dem Vergessen anheim fällt, was überlesen wird. Sie sind, nachdem sie erst einmal bearbeitet wurden, bemerkenswerte Zeugnisse unserer kulturellen Landschaft, in denen dem Leser in überaus offener Form Bildsatire und Zeitkritik vorgestellt wird. Was uns heute in einer umfassenden, die wichtigsten Zeitungen der Welt als Ausgangsmaterial verwendeten Reihe begegnet, und gerade deswegen einen so nachhaltigen Eindruck hinterläßt, weil durchgängig die jeweiligen Titelseiten der Zeitungen zu einer in sich geschlossenen Aussage gebracht werden, fing mit einer recht harmlos anmutenden Idee an.

Zu Weihnachten 1980 kaufte Brigitte Burgmer einen Teil der nun überarbeiteten Zeitungen. Ihre ursprüngliche Idee aber, Kunst in ein Medium zu bringen, das nach Meinung der Künstlerin gesellschaftlich viel weitreichender als Kunst sei, sollte sich bald als eine vielschichtige, hinterhältige Fußangel erweisen. Denn es war das gewählte Medium, das unbeabsichtigt den künstlerischen Schaffensprozess beeinflussen sollte. Ohne es ursprünglich in so starkem Maße gewollt zu haben, wurde die Künstlerin von ihrer eigenen Arbeit besessen, begann sie sich für das Umfeld ihres selbstgewählten Objekts zu interessieren. Aus der reinen Kunst wurde eine analytische. Aus den Absichten des einfachen Nebeneinanderseins wurden solche des reflektierenden Ineinandergreifens, bei welchem der innere Bezug, - ausgewähltes Medium – künstlerische Überarbeitung -, immer mehr nach außen drängte und zu einem Ganzen zusammengebunden wurde. Die Kunst, und gerade das macht den Reiz der ´Bild-Zeitungen´ aus, wurde von sozial- und zeitkritischen Fragen überlagert.

Wer Titel und Bildformulierungen dieser Arbeiten in Einklang bringen will, eine Idee die sich dem Leser schon deswegen aufdrängt, weil der jeweilige Zeitungstitel ausnahmslos und immer den Anfang der Bildlegende darstellt, kann ohne reflektierende Erinnerung nicht auskommen. Er wird, und dies ist die erklärte Absicht der Künstlerin, sein gespeichertes Wissen über die Zeitung, das Land in dem sie gedruckt wurde, die politische Ausrichtung, die sie vertritt, in die Deutung einbringen müssen. Mehr noch: Er wird das einzelne Werk nur dann richtig interpretieren, wenn er die oftmals überaus ironisch gemeinten, korrespondierenden Zusammenhänge zu begreifen versucht. Was dem Kommentator einer Zeitung nicht oder nur in den seltensten Fällen gestattet ist, das kann der Künstler ohne zu zögern formulieren. Er steht außerhalb jeglichen Zwangs, braucht sich an keinerlei Regeln und Vorschriften einer seriösen Berichterstattung zu halten. Seine Domäne ist die der bewußten und gezielten Übertreibung.

Wenn Brigitte Burgmer der Prawda den Untertitel ´Nur die halbe Wahrheit´ zuordnet, wenn sie die alterwürdige, seriöse Frankfurter Allgemeine Zeitung im Satzspiegel vom sanften Rosa zu kräftigen Rottönen verändert und zudem noch ´immer sprachloser´ werden läßt, wenn sie die Neue Züricher Zeitung mit vollem Titel zitiert – ´und schweizerisches Handelsblatt´ und diese Gazette in Wort und Bild mit einer ´eigenartigen Wortgrammatik´ versieht, dann wird gerade durch die übertriebene, absichtlich irritierende Manipulation ein beachtenswerter Hinweis geboten. Ein Hinweis, der auf die Doppelbödigkeit des gewählten Mediums anspielt, der das Bekannte in den Kontext des Unbekannten, Fiktiven, Erdachten, absichtsvoll Verzerrten stellt. Doch gerade die so bewußt vorgetragene Übertreibung, die sich auch in einer so übertrieben harmlos gebenden Kollage, wie dem ´Kopf mit politischem Hintergrund´ des ´Svenska Dagbladet´ nachweisen ließe, die versteckt böse die Poesie ´vor Sonnenaufgang am Tempel der wunderbaren Dinge´ als ein nicht eben angenehmes Erwachen schildert, das uns die ´Asahi Shinbum´ bereiten könnte, will als nachdenkenswerter Hinweis interpretiert werden. Als Hinweis, der das Unglaubliche bewußt in seine Überlegungen einbezieht. Ist es doch das gezielt vorgetragene Spiel mit den Umkehrungen, welche das Unglaubliche um so glaubhafter macht, je unglaublicher es vorgetragen wird. Kein Wunder also, wenn eine der letzten Arbeiten sich mit dem Phänomen der zeitungslosen Zeit auseinandersetzt. Die nationale Ausgabe von ´The Globe and Mail´ ist jener fiktiven Situationsanalyse gewidmet, die jede Zeitung überflüssig macht. Angeregt durch die Todesnachricht Marshall McLuhan´s kündet Brigitte Burgmer eine das Nachrichtenwesen revolutionierende Neuerung an. Das Nachrichtenmagazin der Zukunft werden schlichte Elektroden sein, die ihrem Träger ´Elektrisierendes aus aller Welt´ vermitteln.

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